Ich sehe das ganz anders! Online-Kolumne: Mensch ärgere dich nicht

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Am meisten gelacht habe ich diese Woche bei einem Brettspiel mit der ganzen Familie. Klingt schrecklich, ich weiß, und ist es auch, aber dieses Spiel war ausnahmsweise wirklich mal witzig. Also eigentlich nicht das Spiel selbst, sondern die Verpackung. „Das verrückte Labyrinth“ steht fett in der Mitte, rechts oben ziemlich klein Max J. Kobbert – ich nehme an, er hat das Spiel erfunden – und unter dem Namen steht „Sandra* ist Doof und Dum Dümer geht es nicht.“ In entzückender Erst- bis Zweitklässler-Krikelkrakelschrift. Fantastisch. Zum Kreischen.

„Riesenspaß“ bedeutet Stunk

Und ein Hinweis darauf, dass „Das verrückte Labyrinth“ nicht das allerneueste Spiel von Ravensburg ist. Besagte Sandra*, die übrigens weder Doof noch dum ist, ganz im Gegenteil, wird im Juni 20. Das Spiel muss einst meinem Patenkind, Sandras* jüngerer Schwester, gehört haben. Wie es damals in den 2000ern zu dem schriftlichen Wutausbruch auf dem Karton des „Verrückten Labyrinths“ kam, konnte nicht mehr rekonstruiert werden. Wahrscheinlich gab“s Krach beim Spielen, wie es ihn immer gibt, egal, was auf der Verpackung steht, ja gerade wenn da steht „Ein Riesenspaß“ kann man eigentlich sicher sein, dass es Stunk gibt, der nur in sehr harmlosen Fällen mit Schmähungen auf dem Karton endet.

Eins, zwei, drei vier, zack, geschmissen

Woher ich das weiß? Ich kenne mich doch. Was habe ich mich schon geärgert bei solchen „Gesellschaftsspielen“, allein der Name löst ja Fluchtinstinkt aus. Und „Mensch ärgere dich nicht“ ist da bei Weitem nicht das schlimmste. Natürlich könnte ich jedem eine langen, der mich schmeißt, aber alles in allem geht“s wenigstens schnell und simpel zu. Eins, zwei, drei, vier, zack, geschmissen, direkt vorm Loch, Blutdruck, und schon geht“s von vorne los. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft hat einer gewonnen, alle vier im Häuschen, ja, super, ganz toll, guck, wer dir ein Brot macht. Natürlich kann ich verlieren, hab„ ich ja grade, und ja, ich bin beleidigt, aber wegen was anderem.

Du bist dran!

Wer sich mal den Abend so richtig versauen will, wählt aber statt „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Fang den Hut“ besser was weniger Einfaches. Geeignet sind hier Brettspiele mit möglichst vielen verschiedenen Spielkarten und –kärtchen und Plastikkügelchen und Holzscheibchen und Hexenfigürchen, die alle erst mal umständlich geordnet werden müssen, was die Spieler schon mal in Fahrt bringt. Kurz bevor sich die letzte gramzerfurchte Stirn zum Ausruhen auf der Tischkante ablegt, geht“s auch schon an den Aufbau des verwunschenen Zauberwaldes mittels weiterer Klötzchen und Bömmelchen und Bäumchen, und der Hinweis „Ich muss morgen schaffen“ erscheint in dieser angespannten Lage wenig hilfreich. „Du bist dran“ klingt dann auch genau so wie es ist: bedrohlich.

Hui, die Hexen fliegen

Wer solche „Gesellschaftsspiele“ ausgerechnet jetzt zur Überwindung des häuslichen Lagerkollers empfiehlt, der hat entweder keine Ahnung oder noch nie gesehen, wie sechs Hexenfigürchen mit Schmackes durchs Wohnzimmer fliegen, und das ganz ohne Besen. Passt mal auf, ihr Experten für Freizeitgestaltung während der Ausgangssperre: Wer jetzt zu komplizierten Brettspielen rät, ist Doof und dum Dümer geht es nicht. So!

Und falls jetzt noch einer klugscheißen will: Ich weiß, dass „Das verrückte Labyrinth“ nicht aus den 2000ern ist, sondern schon 1986 (!) erfunden wurde. Ja, genau, in dem Jahr der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl! Was ich damit sagen will? Weiß ich auch nicht so genau, ist mir nur aufgefallen. Es wird jedenfalls seit mehreren Generationen immer wieder neu aufgelegt. Wogegen nichts einzuwenden ist. „Das verrückte Labyrinth“ ist in einer Minute aufgebaut und in etwa 20 Minuten fertiggespielt. Und wer ihm gar nichts abgewinnen kann, kann immer noch die Verpackung beschriften.

*Name geändert

 

Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne „Ich sehe das ganz anders“ über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. 

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