Online-Kolumne Die Welt bei mir zu Hause

kolumne_190121

Als Karl Lagerfeld noch lebte, sagte er: „Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Später wurde das abgeschwächt in „Wer in Jogginghose das Haus verlässt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, aber da Karl Lagerfeld kein Philosoph, sondern ein Modezar war, denke ich, er meinte tatsächlich jegliches Tragen von Sporthosen, ohne dass man dabei Sport treibt. Wie dem auch sei, ich kann dazu nur Folgendes sagen: Wer in Jogginghose zu Hause gefilmt und in fremde Haushalte übertragen wird, hat die Kontrolle über sein Handy verloren. Das steht mal fest.

Die Offenbarung: der Videochat

Es fing ganz harmlos an, Schule dicht, Freunde soll man, wenn“s geht, auch keine einladen, den ganzen Tag Schulaufgaben machen und basteln ist überzogen, also habe ich meiner Tochter erlaubt, mit meinem Handy ihre Freundinnen anzurufen, damit das Festnetz nicht dauernd blockiert ist. Es dauerte noch keine Stunde, da hatte sie rausgefunden, dass man nur das kleine Kamerasymbol drücken muss, um die Freundin – ebenfalls mit Mamas Handy ausgestattet - auch sehen zu können, und fortan wurde munter per Videochat geschnattert.

Von Zimmer zu Zimmer

Wie goldig, dachte ich da noch, die kleinen Dämchen, wie sie parlieren und sich gerieren vor der Kamera, wie sie sich gegenseitig von Zimmer zu Zimmer durchs Haus tragen, alles zeigen, mit verstellten Stimmen unterschiedliche Charaktere sprechen, regelrecht miteinander spielen, samt zig Stofftieren im Schlepptau, und das stundenlang. EIGENTLICH soll eine Neunjährige ja noch nicht mit dem Handy rumlaufen, aber EIGENTLICH war mir das dann auch mal egal, weil so eine große, nun ja, Zufriedenheit herrschte im Haus.

Pringles-Time

Wenn es ausnahmsweise so ruhig ist - also Ruhe im Sinne von: Keiner schreit dauernd „Mama!“ - fühlt man sich schnell in trügerischer Sicherheit und hält es für statthaft, die preußische Disziplin mal aus- und nachmittags schon die Glotze anzuschalten. Das Business-Outfit ab- und die Jogginghose anzulegen und sich mit einem Rohr Pringles Sour Cream & Onions aufs Sofa zu legen. Also, so halb zu legen, der Kopf muss erhöht sein, sonst kann man keine Pringles und auch sonst nichts reinstopfen und sieht außerdem den Fernseher nicht richtig. Mit fehlten wie so oft noch die letzten 65 Minuten vom Film des Vorabends, also wann die gucken, wenn nicht jetzt. Sieht ja keiner. Dachte ich.

Da liegt sie

„Und hier liegt meine Mama“, sagte da meine Tochter, die plötzlich im Wohnzimmer stand, die Handy-Kamera auf mich gerichtet, sie wollte mich einer Freundin präsentieren. EIGENTLICH eine nette Idee, ich sage gerne mal hallo, nur dass ich jetzt halt grad nicht gestresst, aber dennoch kompetent im Twinset im Homeoffice saß und Sätze wie „Ja, klar, das kriegen wir hin, ha ha“ ins Telefon sprach oder wenigstens in der Küche mit buntbedruckter Schürze und rosigen Wangen Vollkornwaffeln backte, sondern auf dem Canape´ fläzte und Chips fraß. „Hmpfgnpf, weegg!!!“ rief ich, und „Oar, hopp!“, den Mund voller Pringles, die Jogginghose voller Krümel. Die Mädchen lachten, waren hellauf begeistert, auch der Vater der Freundin meiner Tochter, der jetzt auch mal via Videochat kurz zu mir ins Wohnzimmer kam, schien sichtlich erfreut.

Luchs mit Lücken

Wenn jetzt meine Tochter das Handy hat, passe ich auf wie ein Luchs. Ich bin immer akkurat angezogen und frisiert, ich fluche nicht, esse keine Chips, und wenn ich aufs Klo gehe, verriegele ich die Tür. EIGENTLICH. Neulich habe ich das mal vergessen. Nicht vergessen werde ich die Worte: „Und da sitzt meine Mama.“

Die Autorin

Sigrid Sebald (51) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne „Ich sehe das ganz anders“ über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags.

x