Kolumnen Aufräumen mit Pferden

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Man hört gar nichts mehr von Marie Kondo. Das mag der Corona-Krise geschuldet sein. Vielleicht sitzt die TV-Aufräum-Queen aber auch in ihrem minimalistischen Holz-Papier-Haus in Japan, nippt zierlich an einer Tasse grünem Tee und denkt: Hebt mich hintenrum, ihr mitteleuropäischen Wutzen, und mistet eure verranzten Muffbuden selbst aus. Übelnehmen würde ihr das keiner.

Die Wurst muss weg

Und aufräumen ohne Marie Kondo müsste ja auch irgendwie gehen, dachte ich, und da fangen wir doch am besten mal mit dem Kinderzimmer an, ist ja eh keine Schule und auch die Nachmittage steht zur freien Verfügung. Seit Längerem schon ein Dorn im Auge sind mir die Kleiderwürste, die unsere Tochter täglich produziert. Sie entstehen durch eine spezielle Ausziehtechnik, bei der Hose, Unterhose und Socken in einem Rutsch runtergestrippt und abgerollt werden. Ab und zu ist auch noch ein Unterhemd oder eine Strumpfhose in die Sache verwickelt, im Sommer darf es auch mal eine getrocknete Ameise aus der Hosentasche sein. Die so entstandene in sich gedrehte Kleiderwurst bleibt direkt am Ort des Abrollens auf dem Boden liegen und kann dort von den Erziehungsberechtigten eingesammelt werden.

Der Textilball auf dem Stuhl

Das sollte sich ändern. Die Tochter sah das auch nach viereinhalb Tagen direkt ein, sah sich aber zugleich vor ein Problem gestellt. „Wo soll das hin?“ Gute Frage. Bei „das“ handelte es sich um ein Shirt und eine Hose, die zwar benutzt, aber noch nicht benutzt genug für den Wäschekorb waren. Für so was gibt es keine geeignete Zwischenablage, das war mir früher schon bei meinen eigenen Klamotten aufgefallen. Solche Textilien landen bei mir auf einem Stuhl im Schlafzimmer, werden dort schön zu einem Haufen geschichtet, über die Lehne kann man auch noch einiges hängen, bis sie so dick ist wie ein Kopfkissen, und wenn man dann nach einiger Zeit ein bestimmtes Oberteil sucht, muss man da nur kurz eintauchen und findet schon nach wenigen Minuten einen Textilball, der zwar noch halbwegs ok riecht, aber so zusammengeknittert natürlich nicht angezogen werden kann. Immerhin sieht er jetzt aus, als sei er die letzten fünf Wochen getragen worden und somit benutzt genug, weshalb er ohne schlechtes Gewissen in den Wäschekorb weiterwandern kann.

Die Zwischenablage

Doch zurück ins Kinderzimmer. Ein Stuhl schien dort keine geeignete Maßnahme zu sein, ein gravierender Mangel an Ablageflächen trat überdeutlich hervor, und der Blick fiel auf Nikolaus. Nikolaus ist ein recht großes, mit Stoff überzogenes Kunststoffpferd, benannt nach dem Hengst der Heldin in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Er war einst der Darling unseres Kindes, ist nach der Anschaffung eines Holzpferds aber ins zweite Glied gerückt, was die Beliebtheit angeht. Trotzdem steht Nikolaus noch im Kinderzimmer, und da dachte ich, wenn schon niemand mehr auf ihm durch die Wälder streifen will, könnte er doch wenigstens zur Zwischenablage werden.

Socken in den Augen

Und was soll ich sagen?! Die Idee war genial. Man soll sich ja nicht selbst loben, aber ich mache das jetzt trotzdem mal. Das System geht so: Kleider, die abends rausgelegt werden, auf dass sie am nächsten Morgen angezogen werden (vor allem nützlich, wenn Schule ist), werden auf dem Sattel abgelegt. Bereits getragene, aber noch passable Kleider kommen – entwurstet – auf Nikolaus„ breiten Pferdehintern. Wäschekorb-Kandidaten, die noch geprüft werden müssen, werden auf dem Kopf platziert. Jetzt sieht Nikolaus zwar öfter mal nichts, weil ihm getragene Bibi&Tina-Socken in die Augen hängen. Da er aber, wie erwähnt, ohnehin nicht mehr geritten wird und dabei die Orientierung verlieren könnte, fällt das nicht so sehr ins Gewicht. Wir alle – Mutter, Tochter und Pferd – sind sehr zufrieden mit der Lösung.

Ich überlege nun, ob ich a) mir auch so ein Plastikpferd kaufen und b) Marie Kondo eine E-Mail nach Japan schicken sollte, um mein neues Wissen mit ihr zu teilen. Ich könnte mir vorstellen, Co-Autorin ihres neuen Buchs zu werden: „Aufräumen mit Pferden“.

Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne „Ich sehe das ganz anders“ über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen.

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