Rheinpfalz Die Lust am Schmutz: Rimaldas Vikšraitis in Mannheim

Dreckiges Idyll: „Grimassen des Sommers“, 1997.
Dreckiges Idyll: »Grimassen des Sommers«, 1997.

Man sieht: einen klapprigen Gaul, der ein Autowrack über Bahngleise zieht.

Ein verdrecktes Kind, das mit einer zerbrochenen russischen Schallplatte in einer Pfütze spielt. Einen „Träumer“ vor windschiefer, verfallender Hütte. Eine alte Bäuerin, die auf kahlem Acker kniet. Ein Mädchen, das uns anschaut – durch ein Stallfenster hindurch und über den abgetrennten Kopf einer geschlachteten Ziege hinweg …

Zum Teil abstoßende hässliche Welt

Es ist eine verwirrend archaische, bisweilen abstoßend hässliche Welt, in die uns die Mannheimer Fotogalerie Zephyr versetzt, indem sie die bis dato größte und in Deutschland obendrein auch die erste Einzelausstellung des litauischen Fotografen Rimaldas Vikšraitis präsentiert. 1954 im 500-Seelen-Kaff Sintautai im Südwesten Litauens geboren, fotografierte Vikšraitis jahrzehntelang das Leben in der baltischen Hinterpampa. Die ältesten Bilder der Schau stammen aus den 1970er-Jahren, die jüngste Schwarzweißaufnahme datiert aus dem Jahr 2014, wobei sich der Betrachter immer wieder dabei ertappt, wie er diesen Fotografien am liebsten eine viel weiter zurückreichende Vergangenheit zuordnen würde: so herb, so aus der Zeit gefallen erscheint das, was uns Vikšraitis zeigt.

Schonungsloser Realismus

Dass es just der bekannte britische Fotograf Martin Parr war, der den Litauer im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in den zentraleuropäischen Kunstbetrieb katapultierte, nimmt nicht wunder. Wie Parr blickt auch Vikšraitis mit einem sehr direkten, schonungslosen Realismus auf die Gesellschaft, die in seinem Fall eben eine dörfliche und randständige ist. „Ich will keine Bilder machen, die den Leuten gefallen. Mir waren soziale Motive sehr wichtig, darum erforschte ich das soziale Leben um mich herum. Davon will ich dem Betrachter erzählen“, erklärt der litauische Fotograf im schön gestalteten Katalog zur Schau.

Von Armut und Trunksucht

Und Vikšraitis’ Schwarzweißbilder erzählen in der Tat: von Armut und Trunksucht, von derbem Sex und hartem Leben „am Rand der bekannten Welt“. Was nach Dauerdepression klingt, offenbart jedoch immer wieder eine erstaunliche Leichtigkeit, eine vitale Lust am Schmutz, wie sie dem Dichterrebellen Arthur Rimbaud gefallen hätte. In vielen Bildern waltet ein grotesker, grimmiger Humor. Das gilt insbesondere für die erkleckliche Zahl von Vikšraitis’ Selbstakten, Selbstporträts und Selbstinszenierungen, in denen der Fotograf die Grenze zur Performance überschreitet. Das ergibt, alles in allem, einen Bildkosmos, der gleichzeitig fasziniert und anwidert, lockt und verstört.


Info

Rimaldas Vikšraitis: Am Rand der bekannten Welt – bis 29.4., Mannheim, Zephyr, Raum für Fotografie, Museum Bassermannhaus, C4, 9, geöffnet: Di-So 11-18 Uhr; Info: www.zephyr-mannheim.de.

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