Meinung Wer die Frauen-WM verspottet, hat Fußball nie geliebt

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Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen muss ihre Leistung immer wieder neu beweisen.

Die USA stehen in der FIFA-Weltrangliste auf Platz eins – bei den Frauen. Die US-Girls dominieren nicht nur den internationalen Frauenfußball, sondern sind auch viel erfolgreicher als die männliche US-Nationalmannschaft. Das hat einen guten Grund: Frauen werden in den USA im Kindes- und Jugendalter weniger diskriminiert oder ausgegrenzt, wenn sie Fußball spielen wollen. Im Gegenteil: Fußball ist eine der beliebtesten Jugendsportarten bei US-amerikanischen Mädchen. Dementsprechend wird der Bereich auch gefördert und innerhalb der Familien ist es nicht verpönt. Da hat der Vater nicht sofort Angst, wie es um die sexuellen Vorlieben seiner Tochter bestellt ist, nur weil sie sich für Fußball interessiert. Zugegeben: Die Situation wird dadurch begünstigt, dass die traditionell „männlich besetzten“ Sportarten in den USA andere sind: American Football, Baseball, Basketball, Eishockey. Soccer steht bei den US-Männern eher an hinterer Stelle. Ein Problem für das Männer-Nationalteam, denn potenzielle Top-Talente fangen gar nicht erst mit Fußball an, sondern suchen sich eine andere Sportart. Für das Damen-Team ist dieses Gefüge in der Popularität der Sportarten ein Segen, denn viele Spielerinnen im Teenie-Alter bedeuten auch: viele mögliche Talente für eine spätere Karriere.

Wer die Qualität der WM kritisiert, hat nichts verstanden

Ohne sexuelle Diskriminierung könnte der Frauenfußball in anderen Nationen auch schon längst da sein, wo er in den USA heute ist. Und das oft bemängelte Niveau wäre höher. Beim Tennis ist es heute völlig normal, dass Frauen und Männer die großen Turniere spielen und die Berichterstattung gleichermaßen ausfällt. Weibliche Tennisstars erhalten genau so viel Aufmerksamkeit wie männliche Kollegen. Sie werden an ihren Erfolgen gemessen, nicht an ihrem Geschlecht oder daran, wie anders ihr Spiel aufgrund ihres Geschlechts ist. Allein auf die Idee zu kommen, eine bestimmte Sportart sei nur etwas für ein einziges Geschlecht, ist völlig abstrus und an den Haaren herbeigezogen. Auf welcher Grundlage ist eine Sportart nur für ein bestimmtes Geschlecht vorgesehen? In Deutschland war es bis Anfang der 1970er Jahre Frauen verboten, in Vereinen, die unter dem DFB organisiert sind, Fußball zu spielen. Der Frauenfußball hat in Deutschland seitdem, wie in den USA, eine sehr positive Entwicklung genommen. Die deutschen Frauen gehören zur Riege der Weltspitze, direkt hinter den USA. Dennoch erfahren die deutschen Fußballerinnen deutlich weniger Anerkennung, Zuschauerzahlen und Gehälter sind entsprechend niedrig, die Berichterstattung im Fernsehen lachhaft – mal abgesehen von der Weltmeisterschaft. Und das wird sich nicht ändern, wenn sich nicht auch die Einstellung, Fußball sei nur etwas für Männer, schon im Kindesalter grundlegend ändert.

Stimmungskiller ist nur das patriarchalische Geheule

Erst dann, wenn mehr Mädchen dazu ermutigt werden, zum Fußball zu gehen statt zum Tennis, Volleyball oder Reiten, könnte sich strukturell etwas ändern. Wer heutzutage die Qualität bei der Frauen-WM kritisiert, der hat nicht verstanden, dass auch die gesamtgesellschaftliche Diskriminierung von Fußball spielenden Frauen dazu beiträgt, dass es nicht genug potenzielle Talente gibt, nicht genug Infrastruktur und nicht genug Mittel, um noch stärker zu fördern, um letzten Endes ein noch höheres Niveau erreichen zu können. Es kann schon sein, dass sich aufgrund der Physis – eine 1,90 Meter große Torhüterin zu finden, dürfte schwierig sein – der Frauenfußball für den Zuschauer immer etwas anders anfühlen wird. Aber ist das tatsächlich so schlimm, dass man ständig darauf herumreiten muss? Unterhaltsam ist die WM 2019 in Frankreich allemal. Stimmungskiller ist eher das patriarchalische Geheule einiger Männer, weil die Frauen auch Teil der vermeintlichen Männerdomäne Fußball sein wollen. Unter nahezu jeder Videozusammenfassung eines WM-Spiels häufen sich auf Youtube sexistische Kommentare darüber, dass man Frauen-Fußball ja nicht schauen könne, weil das Niveau wie Kreisliga sei – oder gar schlimmer.Dann werden Frauen-Teams wie Chile oder Thailand für ihr vermeintlich amateurhaftes Verhalten ausgelacht, weil sie gegen das weltbeste Frauen-Team eine schlechte Figur machen - ohne sich darüber im Klaren zu sein, was es heißt, in einem Land wie Chile oder Thailand als Mädchen aufzuwachsen und Fußball spielen zu wollen.

Liebe zum Fußball hat mit dem Spiel-Niveau wenig zu tun

Apropos Niveau und unterhaltsame Fußball-Turniere: Wurde nicht erst bei der vergangenen Männer-WM 2018 gemäkelt, wie langweilig das Turnier in Russland gewesen sei? Erinnert sich noch jemand an die Europameisterschaft 2004 als Griechenland mit Mauer-Fußball Europameister wurde? Natürlich ist das technische Niveau bei den männlichen Profis im direkten Vergleich immer noch höher, weil die Infrastruktur viel besser ist und weil es sich viel mehr lohnt, mit Aussicht auf die teils astronomischen Gehälter und Werbeeinnahmen, alles für eine Karriere aufzugeben und seine komplette Jugend mit Training zu verbringen. Es ist ein systemimmanentes Problem: Die Jungs bolzen schon auf dem Schulhof in der Grundschule. Für Mädchen ist das nichts. Doch wer sich über Frauenfußball immer noch lustig macht, der hat den sportlichen Aspekt nie ernsthaft geliebt. Wer Fußball liebt, wer für sportliche Wettbewerbe etwas übrighat, der feuert auch Kreisliga-Spieler an, die Samstagmittag bei 10 Grad im Regen spielen. Es geht um Einsatz, Willen und Kampf. Die Liebe zu Fußball hat mit dem Niveau der Spielenden wenig zu tun. Und schon gar nicht mit deren Geschlecht

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