Rheinpfalz Warum Obdachlose Opfer von Gewalt werden - ein Interview

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Obdachlose Menschen sind häufig Ziel von Gewalt. Zuletzt sorgte ein Brandanschlag in Berlin für Schlagzeilen. Die Täter suchen sich oft gezielt die Schwächsten der Gesellschaft aus, sagt die Kölner Soziologin Daniela Pollich. Ein Interview von Martin Schmitt

Frau Pollich, im vergangenen Jahr sollen nach Angaben der Wohnungslosenhilfe mindestens 17 Obdachlose gewaltsam ums Leben gekommen sein. Wer tut Menschen, die ohnehin schon ganz unten sind, so etwas an?

Anhand der Daten aus NRW würde ich sagen, dass die Hälfte der Gewalttaten innerhalb des Obdachlosen-Milieus stattfinden, also durch andere, oft gleichaltrige Obdachlose. Die Täter von außerhalb hingegen sind oft deutlich jünger als ihre Opfer, es sind vorwiegend Heranwachsende oder junge Männer, die meist zu zweit oder in der Gruppe handeln. Und die für Obdachlose nur Geringschätzung übrig haben. Warum das? Sie dürften sich in den seltensten Fällen durch Obdachlose bedroht oder belästigt fühlen. Oft hatten die Täter hinterher keine explizite Erklärung für ihr Handeln. Manchmal ergab sich wohl einfach die Gelegenheit, den eigenen Frust an jemandem abzureagieren, von dem man wenig Gegenwehr erwarten konnte und wo es wenige Zeugen gab, weil sich Obdachlose ja eher am Rand der Gesellschaft aufhalten. Die Wahrscheinlichkeit, entdeckt und bestraft zu werden, ist deutlich geringer, als wenn ich beispielsweise den Nachbarn verprügle. Vielleicht dachten sie, dass ihr Tun nicht geahndet wird, weil die Mehrheit der Gesellschaft es schweigend, nun ja, nicht billigt, aber hinnimmt. Das kann eine Rolle spielen. Gewaltforscher der Uni Bielefeld haben mehrfach gezeigt, dass eine geringschätzige Meinung von Obdachlosen in der Bevölkerung weit verbreitet und tief verankert ist. Diese „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ kann durchaus ein Nährboden für Übergriffe sein und auch eine Rechtfertigung für den Täter. Obdachlose gelten weithin als „Minderleister“, die auf Kosten anderer leben. Sie passen nicht ins Gefüge. Der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer und seine Kollegen erklären dies mit der Ökonomisierung des Sozialen, wie sie es nennen. Das heißt? Demnach werden Menschen verstärkt nach ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit beurteilt. Wer nichts erwirtschaftet, ist eben weniger wert. Im Extremfall sogar gar nichts. So eine latente Ablehnung muss aber nicht gleich in Gewalt umschlagen. Ist es nicht auch oft ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, das hinter der Gewalt steckt? Diese Fälle gibt es. Meine Erfahrung ist aber, dass die meisten Täter von außerhalb des Milieus nicht dezidiert rechtsextrem oder gar entsprechend organisiert sind, dass sie aber mit Rechtsextremen bestimmte Einstellungen teilen. Eben die, dass Obdachlose außerhalb der Gesellschaft stehen, dass sie vorgeblich „Schmarotzer“ sind und somit Freiwild. Eine Einstellung, die übrigens leider zunehmend salonfähig wird. Der aus Mannheim stammende obdachlose Blogger Richard Brox hat kürzlich junge Rechtsextreme als größte Gefahr für Obdachlose benannt, mit steigender Tendenz aber auch junge muslimische Migranten, siehe der viel beachtete Fall in Berlin. Ich glaube nicht, dass sich das Phänomen „Gewalt gegen Obdachlose“ vordringlich an der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit der Täter festmachen lässt. Es geht hier aus soziologischer Sicht eher um Faktoren wie Geschlecht, Alter, Gruppendynamik, letztlich auch um sozialen Status. Sie meinen, es geht bei diesen Angriffen um eine Rang-, oder besser gesagt, Hackordnung? Es ist der Versuch, sich selbst aufzuwerten, indem man andere erniedrigt, die gesellschaftlich noch weiter unten stehen. Oft sind es diejenigen, die selbst prekär leben oder die selbst Probleme haben, gesellschaftlich akzeptiert zu werden, die sich mit allen Mitteln nach unten abgrenzen wollen. Solche Statuskämpfe erlebt man sogar innerhalb der Gruppe der Obdachlosen selbst, in der Regel gehen sie zu Lasten von obdachlosen Frauen und Homosexuellen. Offenbar muss es beim Menschen immer noch einen unter mir geben auf der sozialen Leiter. Ich könnte mir auch vorstellen, dass es zwischen obdachlosen Einheimischen und Migranten zu Spannungen kommt. Das wäre nicht verwunderlich, schließlich besteht der harte Alltag auf der Straße ja auch aus Verteilungskämpfen. Vielleicht sogar vorwiegend. Ja, da draußen herrscht ein ständiges Ringen um Ressourcen. Wer hat den besten Schlafplatz, wer hat eine gute Stelle zum Betteln, wer hat diese oder jene Ausrüstung? Das ist ganz oft ein Streitpunkt unter Obdachlosen: der aussichtsreichste Platz oder die spärliche Habe. Verschärfend kommt hinzu, dass oft Alkohol im Spiel ist, der eine oder andere hat psychische Probleme. Im Milieu herrscht ohnehin ein oft rüder Umgang. Da eskalieren Situationen sehr leicht und können auch tödlich enden. Aber wenn das dann passiert, reagiert die Gesellschaft häufig nicht mehr als mit einem Schulterzucken. Wie im November, als ein Obdachloser in Köln angezündet wurde. Wie, in Köln? Das war doch Ende Dezember und in Berlin. Das war der Fall mit den jungen Migranten. Darüber haben alle berichtet. In Köln ging es um einen Streit unter Obdachlosen, möglicherweise eine Beziehungsgeschichte. Jedenfalls wurde ein Obdachloser getötet und danach angezündet, wohl um Spuren zu verwischen. Das habe ich gar nicht registriert. Sie sehen: Sobald eine Gewalttat im Obdachlosen-Milieu passiert, ist das Interesse von Medien und Gesellschaft deutlich geringer. Das hängt mit der weit verbreiteten, unterschwelligen Verachtung für Obdachlose zusammen. Wir sollten diesen Menschen mehr Angebote machen und nicht noch auf ihnen herumtrampeln.

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