Rheinpfalz Voll beschottert

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Es gibt einen Trend zum pflegeleichten Garten mit viel Stein und Kies – und

wenig Blühpflanzen oder Bäumen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Wenig Zeit für die

Gartenarbeit, verloren gegangenes Gartenwissen – und immer kleiner werdende

Gärten. Naturschützer sehen’s mit Besorgnis.

Beton-Träume

Wer frei von Fehl ist, der werfe die erste Waschbetonplatte: Es gibt wohl wenige Gartenbesitzer, die sich noch nie gewünscht hätten, das samstägliche Rasenmähen-und-Unkrautharken-Elend ein für alle Mal zu beenden. Den eigenen Garten großflächig mit Beton auszugießen und grün zu lackieren. Ein Schild mit der Aufschrift „Garten“ draufzustellen und es damit gut sein zu lassen. Die Wunschwelt ist vielerorts schon fast Realität: Es gibt einen Trend zum hyperaufgeräumten Garten, zum großflächigen Ausbringen von Kies und Stein – gerade dort, wo nach dem landläufigen Verständnis des Begriffs „Garten“ eigentlich Bäume und Hecken stehen sollten. „Der Trend ist da“, sagt Günter Steiger, Gartenbauer aus Haßloch, „die Leute wollen immer weniger im Garten aktiv sein.“ Stein oder nicht Stein?  Spricht man Werner Ollig auf das Thema „Stein und Kies im Garten“ an, dann geht man am besten gleich in Deckung. „Das tut dem Auge weh“, sagt der Leiter der Gartenakademie Rheinland-Pfalz des Dienstleistungszentrums ländlicher Raum, „ich weigere mich, für solche Flächen den Begriff ,Garten’ zu benutzen.“ In Bausch und Bogen verdammen will Gartenbauer Steiger den aktuellen Trend zum pflegeleichten Garten nicht: „Wenn man’s gut macht“, beispielsweise als klassischen Steingarten mit Staudenbesatz, „erfüllt es auch Ansprüche an die Ökologie.“ Mentalitätswandel Folgt man Ollig, der sich mit Vorträgen, Seminaren, Broschüren und Büchern um die Gartenkultur bemüht, dann hat an Zaun und Hecke in den vergangenen Jahrzehnten ein Mentalitätswandel stattgefunden – so schleichend und unmerklich, wie der Wandel menschlicher Befindlichkeiten im Allgemeinen wohl ist. „Es ist viel Wissen um das Kulturgut Garten verloren gegangen“, sagt Ollig. Es haben beim Gartenakademie-Leiter schon Neulinge im Gartengeschäft nachgefragt, die wissen wollten, „warum sich das Laub im Herbst so komisch verfärbt“. Baumlose Gassen Wenn man heute durch die Straßen geht, durch die man schon als Kind gegangen ist – dann hat man den Eindruck, dass da heute weniger ist, weniger Bäume, weniger Blühpflanzen, weniger Vielfalt, weniger Naturraum. Was ein ganz subjektiver Eindruck sein kann – und dem eigenen Älterwerden geschuldet. „Das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck“, sagt Monika Lambert-Debong, Geschäftsführerin des Verbandes der Gartenbauvereine Saarland/Rheinland-Pfalz. „In vielen Dörfern, gerade Straßendörfern, finden Sie in vielen Straßenzügen keinen Baum mehr.“ Nichts zählbares Eine Gesellschaft, die sich über Zahlen und Statistiken definiert, tut sich schwer, Veränderungen wahrzunehmen, die sich nicht in Zahlen und Statistiken fassen lassen. Zum Baum- und Heckenbestand im Privatgarten gibt es keine: Die Zahl der Bäume in privaten Gärten wird von den Kommunen nicht erfasst. Baumkataster, die auch viele pfälzische Städte und Gemeinden führen, listen vor allem die Bäume im öffentlichen Raum auf. Kampf um die Hecke Was es gibt, ist laut Andreas Lukas, beim Naturschutzbund (Nabu) Rheinland-Pfalz für das Thema Stadtökologie zuständig, ein „Dilemma, das man nicht auflösen kann“: Der Trend in vielen Dörfern und Städten geht in Richtung innerörtliche Nachverdichtung, beispielsweise durch Bauen in der zweiten Reihe – zunächst günstig auch für den Naturschutz, weil dadurch keine weiteren Flächen in den Ortsrandlagen versiegelt werden. Die Verdichtung in den Kernbereichen der Städte und Gemeinden führt laut Lukas allerdings auch dazu, dass dort „ein Kampf um jede Hecke stattfindet“. Artensterben Zunehmende Verdichtung und Verarmung der Gartenkultur zeitigen nach Beobachtung des Ludwigshafeners Klaus Eisele, Vorsitzender des Imkerverbandes Rheinland-Pfalz, längst Folgen über den eigenen Vorgarten hinaus. „Man hat immer gesagt, dass es den Bienen in der Stadt besser geht als auf dem Land“, sagt Eisele. „Heute geht es Bienen weder auf dem flachen Land noch in der Stadt gut.“ Eisele pausiert kurz, und holt dann das Kleine ins Große: „Wir haben ein tägliches Artensterben – und das kriegt kaum einer mit. Das ganze Ökosystem ist im Wandel durch die Verarmung der Artenvielfalt.“ Die Siedlung Die Wurzeln des allmählichen Wandels in den Gartenlandschaften reichen tief – wesentlich tiefer jedenfalls als der aktuelle Trend zum scheinbar pflegeleichten Steingarten. „Anfang der 1950er war es Sitte, dass man in den Vorgarten einen Kirschbaum gepflanzt hat“, sagt Konrad Münch. „In der Limburgstraße stehen noch ein paar. In der Lindelbrunnstraße steht keiner mehr.“ Münch wohnt in der Landauer Siedlung auf der Wollmesheimer Höhe – eines jener typischen Randquartiere, wie sie zwischen den 1930er- und 1950er-Jahren in vielen Kommunen entstanden sind. Hier wie anderswo sind die Siedlungshäuser eher klein und die Grundstücke ziemlich groß, ursprünglich, um den Bewohnern die Selbstversorgung zu ermöglichen. Hier wie anderswo hat man in den vergangenen Jahrzehnten viel in die zweite Reihe gebaut, weil man eher Bedarf nach Wohnraum als nach selbst gezogenem Gemüse hatte. Und hier wie anderswo gibt es kaum noch Kirschbäume – weil heutzutage kaum noch jemand zehn Eimer Kirschen verarbeiten kann oder will, wenige Marmelade einkochen, und fast keiner mehr einmacht. Und dann machen die Dinger ja auch noch jede Menge Dreck. „Es zeugt wohl von einem Wertewandel, wenn man zu Laub nur noch Dreck sagt“, sagt Lambert-Debong. Hohe Tannen „Die Leute haben Angst vor hohen Bäumen“, meint Monika Kröber mit Kopfbewegung zum Grundstück eines Nachbarn, wo vor Kurzem noch eine Tanne stand und jetzt keine Tanne mehr steht, zu groß geworden, rausgemacht. „Große, alte Bäume gibt’s im Ausland viel mehr als bei uns“, sagt die Freinsheimerin. Kröber ist Mitglied beim Nabu Frankenthal und von dessen Vorsitzendem empfohlen worden – empfohlen als jemand, der einen besonders schönen Garten pflegt. War nicht zu viel versprochen: Große Vielfalt auf verhältnismäßig kleinem Raum, Obstbäume, Ginko, Stauden und Blühpflanzen, Nutzfläche, kleiner Teich. „Ich sag immer: Zeig mir deinen Garten, und ich sag’ dir, wer du bist“, sagt Kröber. Am Zaun nichts Neues Es gibt eigentlich keinen Grund, Angst vor großen Bäumen zu haben. Die Rechtsprechung zur Haftung bei Baumschäden hat sich nicht grundlegend geändert, erklärt Matthias Schey, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Hauseigentümer- und Vermietervereins Speyer/Vorderpfalz: Alte Bäume müssen regelmäßig auf Standfestigkeit und morsche Äste überprüft werden – die Prüfung kann laut Schey aber vom Gartenbesitzer selber vorgenommen werden. „Es ist nicht so, dass man da einen Fachmann zuziehen müsste“, sagt der Speyerer. Wenn sich etwas geändert hat, an Baum und Borke, dann ist es auch nach Beobachtung des Anwalts eher die Mentalität: „Dass die Toleranzgrenze“, beispielsweise beim Laubfall, „sinkt, das kann ich schon bestätigen“, sagt Schey. Schwarzkiefern wird vieles gefällt, was in den 1970er-Jahren als Modeerscheinung den Weg in die Gärten gefunden hat, Schwarzkiefern beispielsweise, „der Klassiker“, sagt Steiger, und lacht. „Die Bäume erreichen heute teilweise eine Höhe, die für die Gärten nicht mehr passt“, erläutert der Gartenbauer. „Es geht nicht darum, den Leuten zu verbieten, in ihrem Garten einen Baum zu fällen“, sagt Nabu-Mann Lukas. „Es kommt auf die Qualität des Besatzes an – und darauf, ob nachgepflanzt wird.“ Verdichtet  Läuft man mit Monika Kröber durch ihr Viertel, das so oder so ähnlich in fast jedem pfälzischen Ort liegen könnte, dann bekommt man eine Ahnung, wie komplex die Ursachen für das allmähliche Verschwinden von Vielfalt sind: Es gibt Häuserzeilen, in denen der Reihenhausbau so verdichtet ist, dass da kaum noch Garten bleibt – und wer kein Feld hat, kann auch keines bestellen. Es gibt öffentliche Flächen, die komplett zugekiest sind, wahrscheinlich günstiger im Unterhalt. Es gibt Hausbesitzer, die sich offensichtlich mühen, auf kleinen Flächen ein Maximum an Garten zu inszenieren. Und es gibt Hausbesitzer, die ihre Gärten großflächig mit Schotter zuschütten. „So was ist auch optisch eine Verarmung“, meint Kröber. Und die hat laut Ollig auch noch „katastrophale Auswirkungen aufs Mikroklima“: Anders als Grünflächen mit Bäumen und Sträuchern wirken versteinerte Gärten nicht mehr als natürliche Klimaanlagen – sondern heizen sich im Sommer auf. Effekt: Die Häuser können nachts nicht mehr auskühlen. Rentnerparadies Woanders ist der Prozess schon weiter fortgeschritten: Es gibt in den USA Quartiere, beispielsweise im Rentnerparadies Florida, die gezielt auf eine ältere Bevölkerung zugeschnitten sind. Hochgrün oder Rasen wird man dort kaum noch finden, dafür umso mehr Stein – und permanent laufende Klimaanlagen. Ist es schon der oft beschworene demografische Wandel, der hinter der Mode zum angeblich pflegeleichten Steingarten hervorschimmert? „Nein“, widerspricht Imker Eisele vehement, „ältere Leute kümmern sich um ihren Garten, bis sie nicht mehr können.“ Die Gartenbauverein-Funktionärin Lambert-Debong ist da ein wenig vorsichtiger – und registriert durchaus Fälle, in denen der Garten im Alter zur Last wird. Bei „Witwen, allein in einem großen Haus mit einem großen Grundstück“, beispielsweise, „und keinem Geld für einen Gärtner.“ Der Garten ist nicht die KücheVerlorenes Gartenwissen ist nicht einfach zurückzuholen, und „learning by doing“ ist da vielleicht noch die beste Methode. „Einfach machen“, rät Ollig, „viele Leute haben Angst vor der eigenen Courage.“ Und vielleicht ist es am Allerwichtigsten, seine Waschbetonträume ad acta zu legen – und zu akzeptieren, dass der Garten sich ganz deutschen Ordnungsimpulsen eben nicht so einfach fügt. Macht ja auch nichts, meint jedenfalls Imker Eisele: „Lieber ein unaufgeräumter Garten als eine unaufgeräumte Küche.“

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