Rheinpfalz Schnaken in der Pfalz: Wo das Blut fließt

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Die Überschwemmungsmücke Aedes vexans, deren Weibchen Blut saugen, ist eine der Arten, die vom Wirkstoff Bti erfasst werden.

Ein Kommentar zur Schnakenbekämpfung hat uns viele Leserbriefe beschert. Und Einladungen – damit wir uns die Situation vor Ort anschauen. So was schlägt man als Pfälzer natürlich nicht aus.

Sensibles Thema am Rhein, klar, die ungewöhnlich hohe Anzahl an Leserbriefen belegt das: Der Kommentar „Eine der zehn Plagen Ägyptens“ vom letzten Sonntag hat zu teils heftigen Leserreaktionen geführt. Autor Christian Gruber hatte in seinem Artikel die Bekämpfungspraxis und die Informationspolitik der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) hinterfragt. Tenor der meisten Zuschriften: Die Schnakenbekämpfung durch die Kabs habe die Lebensqualität am Rhein deutlich verbessert. Zusatzangebot vieler Leser: Wir mögen uns bei ihnen zu Hause, auf der Terrasse, im Garten oder im Stall, anschauen, warum man zurzeit durchaus von einer Schnakenplage sprechen könne. Dazu hat man uns zumeist was zu trinken in Aussicht gestellt. Wir wären schlechte Pfälzer, stellte vor allem Letzteres kein Stimulanz dar.

Unter der Decke eines Pferdestalls in Westheim

Wenn Gerhard Weiss mit dem Besenstiel auf die Holzverkleidung unter der Decke seines Pferdestalls in Westheim klopft, dann scheucht er sie auf, die Schnaken: Schwer zu zählen jetzt, ein Dutzend auf einen Streich werden es sein. Die vergangenen Tage ist er mit der Fliegenklatsche auf Jagd gegangen. „Ich wollte auf die Hundert kommen“, sagt Weiss, und grinst ein wenig. Er hat per E-Mail zu sich nach Hause eingeladen, Weiss, nach Lektüre des Kommentars am vorigen Sonntag. Den fand er im Tenor zu polarisierend, er selbst neigt erkennbar zur Differenzierung. Schnaken, sagt er, das „gehört dazu“ zum Leben am Rhein – „es ist bloß die Frage, wie stark“. Besonders die letzten Tage waren nach seiner Auffassung schlimm, momentan ist natürlich Ruhe an der Blutsaugerfront, kurz nach 10 Uhr morgens, 20 Grad, bedeckter Himmel. Er wohnt höchst idyllisch am Rand von Westheim, Weiss, ein, zwei Kilometer vom Lingenfelder Altrhein entfernt. Und er wohnt nicht wie jemand, der wegen jedem unerwünschten Naturerlebnis einen Nervenzusammenbruch bekommt: naturnaher Garten, Pferdestall und -koppel. Weiss stammt aus Rheingönheim, auch rheinnah, und kennt den Drill: Fliegengitter vor den Fenstern, Duftkerzen auf dem Terrassentisch. Und er kennt die Zeit vor der Schnakenbekämpfung durch die Kabs, und die wünscht er sich sicher nicht zurück. Fragt man ein wenig nach, wie Weiss das Spannungsfeld von Schnakenbekämpfung und Naturschutz sieht, dann bekommt man, wenig überraschend, wieder eine differenzierte Antwort. „Die Kabs ist von ihrer Intention her eher für den Menschen und nicht für die Natur da“, sagt er, „vielleicht kann man da einen besseren Mittelweg finden“. Was alles nichts daran ändert, dass es in Westheim in den zurückliegenden Tagen offenbar verdammt viele Schnaken gegeben hat.

Das letzte Moskitonetz in Lingenfeld

Barbara Wünschel hat gerade ein Moskitonetz für den Kinderwagen ihres viermonatigen Sohnes Johannes gekauft – und dabei das mutmaßlich letzte erwischt, das in Lingenfeld zu bekommen war. In der vorigen Woche, als das große Stechen und Hauen begonnen hat, da war sie mit ihrem Sohn im Wald unterwegs – „und was da geflogen ist, das war nicht mehr feierlich“, sagt sie. Momentan ist’s natürlich ruhig: 17 Uhr und vor allem windig, vertreibt die Plagegeister. Barbara Wünschel und ihr Gatte Marco stammen aus Neupotz und Rheinzabern, man kennt also auch im Hause Wünschel den Problem aus langer Anschauung: Fliegengitter an Fenstern und Terrassentüre der Doppelhaushälfte. Komischer Sommer, gleichwohl: „Ich hab’s in den letzten Jahren nie so extrem erlebt“, sagt Barbara Wünschel. Wegen Defekten mussten die Kabs-Hubschrauber am Boden bleiben – und zu Fuß kommt man im labyrinthischen Altrhein eben nicht überall hin. Was in der Summe den Wünschels, 29 und 30 Jahre alt, wenigstens einen Eindruck der Zeit vermittelt hat, als es noch keine koordinierte Schnakenbekämpfung am Rhein gab. Muss sie so nicht haben, meint Barbara Wünschel. „Wenn ich daheim bin, auf der eigenen Terrasse, will ich mich nicht auch noch (mit „Autan“, d. Red) einsprühen“, sagt sie.

Hafen Maximiliansau: Geplagte Bootsfreunde 

Man sitzt im Wortsinn fast auf Augenhöhe mit dem Rhein, auf dem Vereinsgelände der Bootsfreunde Wörth 2017 direkt am Hafen Maximiliansau, und man sitzt an einer jener Nahtstellen zwischen Siedlungsstruktur und Naturlandschaft, die das Leben am Oberrhein prägen. Zwei, drei Kilometer rheinabwärts liegt der Landeshafen Wörth, weiter flussabwärts die Altrheinarme bei Neupotz und Eggenstein. Reichlich Wasser im Fluss, der fast gegen die Füße schwappt, bei manchen Gelegenheiten auch darüber. „Wenn richtig Hochwasser ist, haben wir 1,50 Meter Wasser und mehr“ auf dem Vereinsgelände, sagt Dieter Böhm, „das sind alles Dinge, mit denen leben wir“. Womit sich momentan nach Ansicht der Vereinsmitglieder nur noch schwerlich leben lässt, sind die Schnaken. Man könne „wirklich wieder von einer Plage sprechen“, hat Böhm per E-Mail geschrieben. Vor Ort sitzt man in der Abenddämmerung unter einem Pavillon, eine Insektenspirale gibt eine schwache Rauchfahne ab. Am Sonntag hat man sich auf dem Gelände getroffen, und war von jeweils 50, 60 Stechmücken umgeben. „Das ging nicht mehr“, sagt Vereinskamerad Gernot Sitter, „und ich bin keiner, der mit Schnaken so hysterisch ist ...“ Den ersten Stich hat man selbst jedenfalls nach drei Minuten, direkt auf der Glatze. Gibt hier reichlich Schnaken, keine Frage. „Die letzten zehn Jahre war absolut Ruhe“, sagt Böhm, wegen Kabs und Bti. Die jetzt folgende Fragen ist Böhm gleichwohl zu stellen: Muss man wirklich dafür sorgen, dass man an Stellen, an denen einen der Rhein fast über die Füße suppt, abends schnakenfrei sitzen kann? „Fragen sie mal die Leute in Maximiliansau“, sagt Böhm trocken. Die permanente menschliche Besiedlung beginnt 50 Meter Luftlinie vom Vereinsgelände. „Wir lieben die Natur – aber es muss auch eine gewisse Lebensqualität da sein“, sagt Böhm, der froh sein wird, wenn die Schnakenbekämpfer wieder fliegen. Bis dahin heißt es eben Stiche zählen. Bilanz nach einer guten halben Stunde Ortstermin, allerdings früh, gegen 19 Uhr: vier.

Speyer: Schnaken schrecken von Kult(o)urnacht ab

Eigentlich wollte Andrea Keck-Wilhelm ja mit einer Freundin auf die „Kult(o)urnacht“ in Speyer. Die Freundin hat aber abgesagt – zu viele Schnaken. Interessanter Punkt, den Keck-Wilhelm da macht, gebürtige Ulmerin, vor Speyer in Hannover gewohnt. Ein Punkt, der einem als Pfälzer gar nicht mehr so auffällt: „Das große Problem, das ich sehe, ist, dass man (wegen der Stechmücken, d. Red.) den sozialen Kontakt reduziert“, meint Keck-Wilhelm. Draußen sitzen ist nicht, heute Abend, gegen 20.30 Uhr, in ihrem kleinen Reihenhausgarten in der Siedlung Vogelgesang. „Ich hätte das Haus nicht gekauft, wenn es damals schon so gewesen wäre“, sagt Keck-Wilhelm, noch so ein Punkt: Schnakenbekämpfung als Standortfaktor.

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Gerhard Weiss kennt noch die Zeiten vor der Schnakenbekämpfung, hofft aber auf einen Mittelweg zum Wohl von Mensch und Natur.
Dieter Böhm, Gernot Sitter und Birgit Böhm (von rechts) stellen fest: Aufenthalt auf dem Gelände der Bootsfreunde geht wegen Sch
Dieter Böhm, Gernot Sitter und Birgit Böhm (von rechts) stellen fest: Aufenthalt auf dem Gelände der Bootsfreunde geht wegen Schnakenschwärmen beizeiten nicht mehr.
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