Rheinpfalz Sami Chader kämpft für die Zukunft seines Zoos in Palästina

Sami Chader im Zoo von Kalkilja vor einer Giraffendame, die er eigenhändig präpariert hat, nachdem das Tier eine weitere Krise i
Sami Chader im Zoo von Kalkilja vor einer Giraffendame, die er eigenhändig präpariert hat, nachdem das Tier eine weitere Krise im Nahost-Konflikt nicht überlebte. Wenigstens soll ihr Opfer nicht umsonst gewesen sein, findet er.

Der Zoo von Kalkilja war einst ein Besuchermagnet in Palästina. Dann kamen Krieg und Niedergang. Heute kämpft Chef-Veterinär Sami Chader für die Zukunft des Parks. Seinen Tieren beschert er den großen Auftritt, über den Tod hinaus.

Mit dem Tod seiner Schützlinge ändert sich für den Tierarzt Sami Chader nur die Art der Fürsorge. Er denkt einfach um. Der Löwe schleicht nicht mehr hinter Gittern von einer Ecke in die andere. Er steht jetzt mit gefletschten Zähnen über dem Zebra. Unsicher wirkt er. Das muss man ihm nachsehen; er ist nicht mehr so beweglich. Sein Zahnfleisch ist kaugummirosa lackiert, die Puppenaugen sind aufgeklebt. Der Löwe starb an Altersschwäche. Anders als das Zebra, das seine Läufe von sich streckt, als wäre es eingefroren. Es hat zu viel Tränengas geschluckt. „Willkommen in Kalkilja, willkommen im ältesten Zoo Palästinas!“ , sagt Chader voller Freude. Sami Chader ist nicht verrückt – oder jedenfalls nicht verrückter als die Verhältnisse um ihn herum. Er versucht schlicht, aus der Not eine Tugend zu machen. „Naturkundemuseum“ hat er die von ihm geschaffene Abteilung des Zoos genannt. Hier flickt und stopft er gegen das Unvermeidliche an, als Hüter und Archivar des Lebens, wie er sich selbst sieht. Wenn Menschen Krieg führen, leiden auch die Zootiere. Von Bomben zerrissen. Von betrunkenen Soldaten niedergeballert. Von einer hungrigen Meute geschlachtet. Oder verendet in ihren Käfigen, weil die Pfleger andere Sorgen haben. Der Zoo von Kalkilja sollte ein Ort des Friedens werden im geteilten Land, für Araber und Juden. Vor 31 Jahren, 1986, hat der Bürgermeister ihn anlegen lassen. Der Safari-Park bei Tel Aviv und der Bibel-Zoo in Jerusalem spendeten Tiere. Anfangs wurde der Zoo der Besucherflut kaum Herr. Doch die Tiere saßen gerade ein Jahr in den Käfigen, als sich die Palästinenser das erste Mal gegen die israelische Herrschaft erhoben. Heute ist nicht nur der Zoo ummauert, sondern die ganze Stadt mit ihren 43.000 Einwohnern. Israelische Soldaten bewachen den einzigen Durchgang durch den acht Meter hohen Sperrwall. Je nach Perspektive steht er für Schutz oder Strafe. Aus Kalkilja im Westjordanland kamen während der zweiten Intifada besonders viele Selbstmordattentäter. Chaders Reich ist ein kleines Gefängnis im großen. Aber er hält tapfer am Traum von damals fest. Er möchte den Zoo erhalten, erweitern, ihn zu einem weithin bekannten Ort der Bildung und Zerstreuung machen. Momentan befinden sich auf dem Gelände außer den Gehegen noch ein Vergnügungspark, ein Restaurant und zwei weitere improvisierte Museen. Der Star ist ein lebendiger Braunbär. „Er hat seine eigene Frau zur Hälfte gefressen“, sagt der Arzt: „Weil sie nicht wollte.“ Er klatscht sich auf die Schenkel: „Sie wollte keinen Sex – Frauen!“ Die Reste des Weibchens hat er nicht ausgestopft. In seiner Gefriertruhe wartet noch viel Arbeit. Das Schattenreich des Zoos liegt hinter einem rostigen Metalltor: Chaders Ambulanz, zugleich Werkstatt. Hier bereitet er die Tiere für die Dauerausstellung vor. In Kühlregalen lagert er seine Kadaver, den Rohstoff für das Naturkundemuseum. Kalkilja liegt isoliert im palästinensischen Autonomiegebiet an der Waffenstillstandslinie von 1949. Vom quirligen Tel Aviv bis hierher sind es nur 20 Kilometer. Und doch fühlt sich die Reise von der Küste in die eingemauerte Stadt an wie eine Expedition auf einen anderen Kontinent. Die Bewohner von Kalkilja werden sogar beim Zoobesuch an ihre Notlage erinnert. Jeder Versorgungsengpass hat den Umzug einzelner Tiere aus den Gehegen ins Museum zur Folge, von den Lebenden zu den Toten. Der Zoo beschäftigt 43 Menschen. Das macht ihn schon zum größten Arbeitgeber. Reisebusse karren Familien und Schulklassen aus dem Umland heran. Unter einem Graffito von Arafat türmen Mütter Chips und Hummus auf Picknicktische. Junge Frauen tragen Make-up, so dick, dass es an den Lippen bröckelt. Keiner achtet darauf, so wenig wie auf den Putz, der von den Wänden blättert, den Rost, der an den Gehegen nagt, das Nilpferdbecken, in dem die Algen bald das Wasser aufgesaugt haben, oder den Beton, auf dem die Wölfe kauern. Der Niedergang des Zoos begann mit der zweiten Intifada, als Israel die Mauer baute. Nachdem im Jahr 2003 ein spielendes Kind vor dem Eingang einer achtlos abgefeuerten Salve israelischer Soldaten zum Opfer fiel, begannen auch die Anwohner, den Zoo zu meiden. Immer wieder flogen Granaten und Querschläger herein. Brownie traf es zuerst. In der Nacht, als das Feuer der Gefechte die Gehege erhellte, rannte der Giraffenbulle panisch umher, bis ihn ein eiserner Deckenbalken fällte. „Wenn eine Giraffe am Boden liegt, stirbt sie“, erklärt Chader: „Der Blutdruck im Kopf bewirkt den sofortigen Tod.“ Die zweite Karriere des Veterinärs begann. Er musste nun regelmäßig häuten, salzen, stopfen, nähen. Raubtiere, Reptilien, Vögel – wenigstens diese Opfer sollten nicht einfach unter der Erde verschwinden. Heute reckt Brownie seinen klumpig gestopften Hals aus einem Käfig ins Freie, das Maul verzerrt wie nach einem Schlaganfall. Wo einmal ein Glasauge gesessen haben muss, steckt ein grünes Stück Plastik. „Er war eine nervöse Giraffe“, sagt Chader. Ganz im Gegensatz zu Ruti. Doch als das hochschwangere Weibchen seinen Partner sterben sah, verlor es das Junge in seinem Leib. Dann ging sie, dem Arzt zufolge, an ihrer Trauer zugrunde. Chader ist niemand, der sich lange mit Misserfolgen aufhält. Wenn eine Geschichte traurig endet, reicht er eine lustige nach. Diesmal ist es die von den drei mähnenlosen, aber immerhin lebendigen Löwen. Ein Schild am Gehege erklärt, dass es sich hier um eine spezielle Rasse handelt, die kein wildes Haupthaar trägt. Die Wahrheit mitzuteilen, brachte Chader nicht übers Herz: Man hatte ihm kastrierte Tiere überlassen. Mitunter schüttelt er selbst den Kopf über all die Absurditäten, mit denen er zu kämpfen hat, weil er seinen Traum vom Zoo nicht loslassen mag. Er hat einen bequemen Job in Saudi-Arabien aufgegeben, um in seine Heimat zurückzukehren. Tagsüber arbeitete er als Veterinär für eine Geflügelfarm, nachts brachte er sich in der tiermedizinischen Abteilung der King-Faisal-Universität das Ausstopfen bei. Es waren die Jahre, in denen der Zoo florierte und der Bürgermeister einen Tierarzt und einen Kurator für ein Museum auf dem Gelände suchte. In Chader fand er beides. Der Tierarzt hat dem Park eine weitere Attraktion hinzugefügt: das „Museum für alles“, eine bizarre Mischung aus Exponaten, die dem Motto des Veterinärs folgt: „Wir machen alles aus nichts.“ Aus einem Vulkan blubbert Leitungswasser. Ein kamelgroßer T-Rex trägt eine Glühbirne im Maul. Knapper lässt sich die Weltgeschichte nicht zusammenfassen. Föten von Bär und Esel und ein Schaf mit zwei Köpfen und zwei Schwänzen, eingelegt in Einmachgläsern, sind liebevoll auf Kunstrasen drapiert. Eine pummelige Weltraumrakete steht daneben, konstruiert aus einem Ölfass und Abwasserrohren. Granatsplitter. In Chaders Museumspädagogik hängt alles irgendwie zusammen: Beute und Greifer, Poesie und Naturwissenschaft, Leben und Tod. Draußen versammeln sich Besucher vor dem Bärenkäfig. Der Bär fiepst, statt zu knurren. Als er sich unvermittelt aufrichtet und sein Schatten auf die Menschen fällt, hat man eine Ahnung davon, wie mächtig er sein könnte. Doch er greift nur nach der Plastikplane, die im Wind tanzt. Und lässt sich schon wieder fallen. Sein letzter Auftritt wird größer sein. Dafür wird Sami Chader sorgen.

Unter den Lebensbedingungen in Kalkilja leidet Mensch und (Zoo-)Tier gleichermaßen. Der Bär (links) ist ein beliebtes Fotomotiv.
Unter den Lebensbedingungen in Kalkilja leidet Mensch und (Zoo-)Tier gleichermaßen. Der Bär (links) ist ein beliebtes Fotomotiv. Der Löwe starb an Altersschwäche, das Zebra schluckte zu viel Tränengas.
x