Meinung Neue Tiebreak-Regel in Wimbledon: Die Leiden sind vorbei

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Den obligatorischen Knicks vor der Royal Box haben sie schon lange abgeschafft in Wimbledon. Schade, eigentlich. Aber seit 2003 dürfen die Spielerinnen auf die antiquierte Gruß-Form verzichten. Es war ein kleines Ritual, wenn Steffi Graf den heiligen Rasen des Centre Courts betrat und die britischen Hoheiten ehrfurchtsvoll grüßte. Neunmal stand die Tennis-Königin im Endspiel der All England Championships, zum ersten Mal 1987, da hat sie gegen Martina Navratilova 5:7, 3:6 verloren und zum letzten Mal 1999, da musste sie sich Lindsay Davenport 4:6, 5:7 geschlagen geben. Von anderer Tragweite wird eine Entscheidung sein, die nicht das Drumherum, sondern das Spiel selbst betrifft. Vom kommenden Jahr an wird es an der Church Road in SW19 London im fünften Satz einen Tiebreak geben. Und zwar einen ganz normalen. Wer zuerst sieben Punkte hat und dabei mindestens zwei Punkte vorne liegt, hat gewonnen. Das heißt, spätestens beim Stand von 12:12 im letzten und entscheidenden Durchgang wird dann Schluss sein mit Einstand, Vorteil, Einstand, Vorteil Rück, Einstand ...

Regel für alle Wettbewerbe

In die Geschichtsbücher wird ein Spieler eingehen, der seinen Gegner dann beispielsweise 6:4, 6:1, 2:6, 5:7 und 13:12 schlägt. Das Kunststück kann die Nummer 84 der Welt vollbringen und das auch schon in der ersten Runde des Turniers. Eine entsprechende Regeldebatte war in diesem Jahr nach dem Halbfinale zwischen dem Südafrikaner Kevin Anderson und dem US-Amerikaner John Isner entbrannt. Denn die Partie hatte Anderson nach sechs Stunden und 36 Minuten im zweitlängsten Match der Wimbledon-Geschichte mit 7:6, 6:7, 6:7, 6:4 und 26:24 für sich entschieden. „Wir glauben, dass die Zeit reif ist, den Tiebreak einzuführen bei Matches, die nicht zu einem vernünftigen Zeitpunkt im entscheidenden Satz beendet sind“, erklärte Philip Brook, der Vorsitzende des All England Lawn Tennis Clubs. Und zwar gilt die Regel für alle Wettbewerbe: für Damen und Herren, auch in der Qualifikation, in den Doppeln und im Mixed und auch für die Jugend-Wettbewerbe. Nur im Rollstuhl-Wettbewerb bleibt alles beim Alten. Damit steht auch fest, dass das längste Match beim berühmtesten Turnier der Welt nicht mehr überboten werden kann. 2010 hatten sich in der ersten Runde John Isner und der Franzose Nicolas Mahut elf Stunden und fünf Minuten gegenübergestanden – mit dem besseren Ende für den langen Amerikaner, der die Partie mit 6:4, 3:6, 6:7, 7:6 und 70:68 gewann. Durchhalten ist in dem epischen Match über drei Tage vom 22. bis zum 24. Juni für beide die Parole gewesen. Isner brachte es alleine in diesem Spiel auf 112 Asse, Mahut auf 103. Alleine der fünfte Satz dauerte acht Stunden und elf Minuten. Ein Jahr später standen sich die beiden Helden wieder in der ersten Runde gegenüber. Da war der Spuk dann aber keiner mehr und das Match nach gut zwei Stunden zugunsten Isners entschieden.

Marathonmatch belastend

Ein Marathonmatch ist in der ersten Runde ja noch ganz witzig und allerbeste Werbung fürs Tennis. Im Halbfinale droht ein Endlos-Spektakel dann aber schon den Zeitplan zu sprengen, da sind Drei-Tage-Matches dann ganz einfach im Protokoll nicht mehr möglich. Und das könnte für die Regeländerung im so traditionsbewussten Club gesorgt haben. Sie ergibt ja auch Sinn, zumal die körperliche und psychische Belastung für die Spieler alle Grenzen sprengt. Mit der Entscheidung, den fünften Satz bis zum 12:12 laufen zu lassen, haben sich die Briten ja eine ganz eigene Note gegeben. In New York jedenfalls wird – wie in allen anderen Sätzen auch – beim Stand von 6:6 per Tiebreak der Deckel drauf gemacht. Einen solchen hat der Mannheimer Bundesliga-Spieler Dominic Thiem in diesem Jahr in einem Riesenmatch gegen Rafael Nadal verloren. Der Österreicher unterlag dem Spanier in einem Gänsehautspiel mit 6:0, 4:6, 5:7, 7:6 und 6:7. Der Sieg beim längsten Grand-Slam-Match bei den Damen geht auf das Konto der Italienerin Francesca Schiavone, die im Achtelfinale der Australian Open 2011 mit 6:4, 1:6, 16:14 gegen die Russin Swetlana Kusnezowa siegte. Geschichtsträchtige Grand-Slam-Partien werden trotzdem noch möglich sein, denn Wimbledon ist nach den US Open erst das zweite der vier Majors, das sich für eine Tiebreak-Regelung entschieden hat. Bei den Australian Open in Melbourne und beim Sandplatz-Major in Paris, bei den French Open, sind sie noch nicht so weit. Das längste Zwei-Satz-Match der Geschichte hat auch vier Stunden und 26 Minuten gedauert. Der Schweizer Roger Federer hat es für sich entschieden. Es war das Halbfinale des Olympiaturniers 2012 in London, das er mit 4:6, 7:6, 19:17 gegen den Argentinier Juan Martin del Potro für sich entschied.

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