Rheinpfalz Ludwigshafener gründet Club für Gentlemen im Irak

Die Mitglieder von „Mr. Erbil“ wollen der Welt zeigen, dass ihre Stadt kein zurückgebliebenes Provinznest ist, sondern ein pulsi
Die Mitglieder von »Mr. Erbil« wollen der Welt zeigen, dass ihre Stadt kein zurückgebliebenes Provinznest ist, sonder ein pulsierendes Handelszentrum.

Wenn von der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak die Rede ist, denkt jeder an Krieg, Terror, Rückwärtsgewandtheit.

Die Hauptstadt Erbil will anders sein: modern, weltoffen, der Zukunft zugewandt. Um das Image ihrer Heimat aufzupolieren, gründeten gut gekleidete junge Herren „Mr. Erbil“. Der Club für Gentlemen plant Großes. Mittendrin: ein Ludwigshafener.

Ahmed Nauzad zahlt nicht. Schon wieder nicht. Erst den Kebab zum Mittagessen in einem Restaurant im Innenhof des Basars. Jetzt den Kaffee an einem Stand in einer Gasse des Marktes. Auf keinen Fall – so die Kellner, die ihre Hände flach in einer abweisenden Geste vor der Brust ausstrecken – könne man Geld von ihm annehmen. Einen Gast wie ihn, der sich so für sein Land einsetze, den müsse man einfach einladen. Und bitte – keine Diskussion jetzt. „Schon interessant“, sinniert Nauzad, während er an seinem Eiskaffee nippt, „sobald man ein Stück Berühmtheit erlangt hat, geben einem die Menschen so vieles umsonst. Dabei hat man es dann meistens gar nicht mehr nötig“. Nauzad schlendert über den Basar der nordirakischen Stadt Erbil, in Jackett, Krawatte und Einstecktuch, als gäbe es keinen anhaltenden Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Warum auch nicht? Schließlich ist es hier, in der autonomen Region Kurdistan, tatsächlich ziemlich friedlich. Das Problem ist nur: Die meisten Menschen wissen das nicht. Irak ist für viele nur Irak. Und das wiederum wird oft gleichgesetzt mit: religiöser Gewalt, Sprengstoffattentaten und Massengräbern.

Die Dandys von Erbil

Kurz gesagt: Kurdistan hat ein Imageproblem. Und Nauzad, 28, will das ändern. Deshalb hat er sich 2016 mit drei Freunden zusammengetan und „Mr. Erbil“ gegründet, einen Club für Gentlemen. Zurzeit sind sie rund 40 Mitglieder, die sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen können: Sie tragen feine Anzüge, Krawatten, polierte Schuhe und lange, gepflegte Bärte. Vor allem Letztere sind eine Besonderheit in Kurdistan. Kurden tragen, wenn überhaupt, einen stolzen Schnauzer. Lange Bärte sind im Irak radikalen Muslimen vorbehalten. „Am Anfang waren die Leute etwas irritiert“, sagt Nauzad. Dann siegte die Neugier. Wenn die Dandys von Erbil heute gemeinsam durch die Stadt laufen, bitten die Leute sie um Selfies. Dabei geht es den Männern nicht unbedingt um das Äußere. „Unser Auftreten ist für uns vor allem ein Werkzeug, um Aufmerksamkeit zu schaffen“, sagt Nauzad. Es gehe den Gentlemen darum, zu zeigen, dass es ein Irak abseits von Krieg und Gewalt gibt. „Ein Gentlemen muss Manieren haben, höflich und aufmerksam sein“, sagt Nauzad : „Allein das verträgt sich schon nicht mit Gewalt.“ Die Kurden, Assyrer und Turkmenen in dem Club sehen sich als Botschafter Kurdistans, wollen zeigen, dass es für verschiedene Gruppen möglich ist, friedlich miteinander zu leben. „Wir wollen die Zivilgesellschaft stärken“, sagt Nauzad, „und so hoffentlich auch zum wirtschaftlichen Aufschwung beitragen“.

Plötzlich schien Wohlstand möglich - dann kam der IS

Ein solches Engagement kann das Land gut gebrauchen, wie ein Blick auf die jüngere Geschichte Kurdistans zeigt. Jahrzehntelang unterdrückte der irakische Diktator Saddam Hussein die Kurden, ließ morden, setzte Giftgas ein, zerstörte Dörfer. Im Gegenzug führten kurdische Kämpfer, die Peshmerga, einen Guerillakampf gegen das Regime. Nachdem die Amerikaner 2003 Hussein gestürzt hatten, ging es in Kurdistan aufwärts. Investoren aus der Türkei und dem Iran bauten Luxushotels und Shoppingmalls mit Schlittschuhlaufbahnen. Siedlungen im Stil amerikanischer Vorstädte entstanden, samt gepflegter Vorgärten. Plötzlich schien möglich, was den Kurden so lange verwehrt worden war: ein friedliches Leben in Wohlstand. Der Traum endete abrupt im Jahr 2014, als der IS große Teile des Iraks einnahm. Plötzlich fanden sich die Kurden an einer 1000 Kilometer langen Front wieder. Die Wirtschaftskrise, die sich schon vor dem Krieg gegen den IS anbahnte, verschlechterte sich mit der instabilen politischen Lage zusehends. Der Preis für Erdöl, die Haupteinnahmequelle Kurdistans, fiel drastisch. Investoren zogen sich zurück. Die Rezession hält bis heute an. Staatsangestellte – in Kurdistan ist die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung beim Staat beschäftigt – müssen oft lange auf ihr Gehalt warten. Luxusimmobilien stehen leer.

Vom Ludwigshafener Hemshof zurück in den Irak

Für Kultur war plötzlich kein Platz mehr in der Gesellschaft. Stattdessen kehrte die Krieger-Mentalität zurück. Kämpferische Rhetorik und patriotische Lieder dröhnten aus Fernsehern und Radios. Ausgerechnet da beschloss Nauzad, nach Kurdistan zurückzukehren. Denn eigentlich ist er in Deutschland aufgewachsen. Seine Familie floh Anfang der 1990er-Jahre vor Husseins Regime. Und wie so viele Familien kamen auch Nauzad und seine Eltern nach dem Sturz des Diktators zurück. Doch Nauzad wollte nach seinem Schulabschluss sein Leben in Deutschland fortführen, zog wieder nach Ludwigshafen, wo er im Stadtteil Hemshof mit zwei Brüdern und drei Schwestern großgeworden ist, und betrieb dort ein Café. Bis der IS plötzlich nur noch 20 Kilometer von Erbil entfernt war. „Ich wollte meine Familie nicht alleine lassen in einem Land, das nach so vielen Jahren der Euphorie plötzlich in eine Depression verfiel“, begründet Nauzad seine Entscheidung zur Rückkehr. Seinen Freunden und ihm sei schnell klar gewesen, dass sie der Stimmung im Land etwas Positives entgegensetzen wollten. Es sei ihnen wichtig, auch das normale Leben in Kurdistan zu zeigen, klarzustellen, dass das hier kein trostloser Wüstenort sei, sondern ein moderner Staat.

Unternehmensidee: Bartpflegeprodukte

Die Idee, Kurdistan einen Anstrich von Eleganz und Hedonismus zu verleihen, begeistert nicht nur die Markthändler. Längst hat sich das Phänomen in den sozialen Medien herumgesprochen. Obwohl ein reiner Männerclub, porträtieren die Gentlemen jeden Donnerstag eine kurdische Frau auf Instagram, die im sozialen, kulturellen oder ökonomischen Bereich etwas leistet. „Um mit dem Mythos aufzuräumen, dass Frauen in muslimischen Gesellschaften immer unterdrückt werden“, sagt Nauzad. Wie die Schmuckdesignerin, die sich seit dem Kurzporträt vor Anfragen nicht mehr retten kann. Oder Shaween Othman Faraj, die mit einer Partnerin das erste Buchcafé Erbils eröffnete. Gerade bauen sich die Gentlemen ein eigenes Unternehmen auf: „Rishn“, was übersetzt so viel wie „bärtig“ bedeutet. Und natürlich dreht sich alles um Bartpflegeprodukte: Argan- und Jojobaöl, Bürsten und Wachs. Nauzad hat seinen Job im Marketing aufgegeben, um sich ganz dem Projekt zu widmen. Noch stellen sie ihre Produkte zu Hause her. Aber sobald die Produktion größer und professionalisierter läuft, wollen sie ihre Erzeugnisse in Europa verkaufen.

Youtube und Krawatten aus Ziegenhaar

Zugleich arbeiten sie an einer Krawattenlinie, hergestellt aus feinem Ziegenhaar, das sie in kurdischen Dörfern einkaufen und das normalerweise für die Herstellung traditioneller kurdischer Kleidung verwendet wird. Noch hapert es ein wenig an der Umsetzung, weil die Schneider auf dem Basar sich an die neuen Designs gewöhnen müssen. „Wir bringen uns das alles über Youtube bei, und dann versuchen wir, es dem Schneider zu erklären“, sagt Nauzad. Der Lernprozess verläuft nicht immer reibungslos. Wenn der Produktionsprozess stockt, geht Nauzad fast jeden Tag zum Basar, um den Fortschritt zu begutachten: „Da kommt dann eben doch der Deutsche in mir raus. Ich wünsche mir mehr Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.“ Nauzad weiß, dass Ruhm schnell vergehen kann: „Wir müssen den Schwung nutzen, den wir gerade haben.“ Er glaubt fest daran, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Gentlemen ihre Designs nach Europa, in die USA und Asien exportieren. Sein größter Traum wäre es, seine Krawatten in Italien zu verkaufen: „Wenn es um Stil geht, macht den Italienern einfach keiner was vor. Aber wir können es zumindest versuchen.“

Ahmed Nauzad lebte 14 Jahre in Ludwigshafen, wo er aufgewachsen ist und ein Café führte. Jetzt will er gemeinsam mit kurdischen
Ahmed Nauzad lebte 14 Jahre in Ludwigshafen, wo er aufgwachsen ist und ein Café führte.
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Mit kurdischen Schneidern will der ehemalige Ludwigshafener Krawatten aus Ziegenhaar auf den Markt bringen.
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