Rheinpfalz Leuchtendes Vorbild: Glühwürmchen machen vor, wie Sparsamkeit geht

91-125618904.JPG
Wenn im Juni die Wenn im Juni die Paarungszeit für die Leuchtkäfer im Smoky Mountains Nationalpark beginnt, versammeln sich Tausende Zuschauer in Elkmont, Tennessee, um den Lichtertanz mitzuerleben. Die 1800 Zufahrtsberechtigungen werden verlost. Nach wenigen Tagen ist der nächtliche Zauber wieder vorbei.

Sie haben Laternen am Hintern, fressen 200-mal schwerere Schnecken und machen nach dem Sex das Licht aus: Glühwürmchen. Bisher kommt in Sachen Sparsamkeit keine Lampe an die Leuchtkäfer heran. Die Forschung arbeitet daran.

Die ersten Besucher kommen am Morgen. Sie stellen Campingstühle auf, breiten Decken zum Draufsetzen aus. Im Laufe des Nachmittags werden es immer mehr. Am frühen Abend gibt es kaum mehr Platz auf der Forststraße von Elkmont im Great Smoky Mountains Nationalpark im US-Bundesstaat Tennessee. Shuttlebusse haben die Menschen in das Waldstück gekarrt. Jetzt stehen Familien, Verliebte, Touristen und Einheimische in der Dunkelheit. Allmählich werden die Menschen leiser, fast andächtig ist die Stille. Dann geht es los, ganz langsam, ein Blinken hier, ein Licht da, ein Schimmern unter dem grünen Blätterdach. Als dann Zehntausende Glühwürmchen beginnen, zur gleichen Zeit pulsierend zu leuchten, brandet Beifall auf.

Leuchtkäfer nutzen eine Art Dating-App

22.000 Menschen haben im vergangenen Jahr an der Lotterie um die 1800 Zufahrtsberechtigungen für den Nationalpark teilgenommen, um die seltenen synchron leuchtenden Tiere im Wald zu bewundern. Im thailändischen Amphawa gibt es Flussrundfahrten per Boot zu den besten Glühwürmchen-Stellen. Japaner feiern Festivals zu Ehren der Insekten. Und in Wuhan in China hat vor drei Jahren der erste Glühwürmchen-Park eröffnet. Und wer erinnert sich nicht an magische Sommernächte, an die Fangversuche mit dem Marmeladenglas als Kind, an das Staunen beim abendlichen Spaziergang? Die blinkenden Wundertiere haben Lichtmaschinen im Bauch, sind exzellente Schleimspurdetektive und präzise Sturzkampfbomber. Sie nutzen eine Art Dating-App, sind Energiespar-Meister und sterben nach nur einer Woche, in der sie nächtlichen Zauber verbreiten. Der Reihe nach.

Experten sprechen von Lampyridae

Natürlich fliegen Würmer nicht. Glühwürmchen sind auch keine Würmer, sondern Käfer. Eigentlich heißen Glühwürmchen Leuchtkäfer oder Johanniskäfer, Österreicher kennen sie als Sonnwendkäfer, Experten sprechen von Lampyridae. Im englischen Sprachraum ist ihr Name ähnlich irreführend: „fireflies“ heißen sie da, Feuerfliegen. Glühwürmchen werden die Insekten wohl genannt, weil die Larven und die flügellosen Weibchen an Würmer erinnern. Weltweit existieren mehr als 2000 Arten, drei davon in Deutschland: der Kleine Leuchtkäfer, der Große Leuchtkäfer und der Kurzflügel-Leuchtkäfer. Leuchtkäfer erzeugen selbst Licht. Diese Fähigkeit heißt Biolumineszenz. Von Phosphoreszenz oder Fluoreszenz spricht man, wenn Tiere nur leuchten, wenn sie angestrahlt werden, ähnlich wie die Leuchtsterne an Kinderzimmerdecken. Am Hinterleib der Glühwürmchen befinden sich Leuchtzellen, Laternen genannt. In ihnen läuft eine chemische Reaktion ab: Der Stoff Luciferin reagiert unter dem Einfluss des Enzyms Luciferase mit Sauerstoff, dabei wird Energie in Form von Licht frei.

Laternen sind aufgebaut wie Autoscheinwerfer

Luciferin kommt aus dem Lateinischen, von lux (Licht) und ferre (tragen, bringen). Luciferin ist also der „Lichtträgerstoff“. Die Laternen der Glühwürmchen sind aufgebaut wie ein Autoscheinwerfer: Die lichtmachenden Zellen sind wie die Glühbirne, die durchsichtige Gewebschicht davor entspricht dem Glas, und eine Zellschicht aus Harnsäurekristallen arbeitet wie der Spiegel, der das Licht nach außen reflektiert. Die Insekten senden Leuchtsignale aus, damit sich Männchen und Weibchen zur Paarung finden. Das Blinken ist also die Dating-App – keine digitale, eine optische. Die Männchen erkennen die Weibchen ihrer Art an deren Leuchtmuster, also an der Helligkeit, der Lichtfarbe, der Pulslänge, der Länge der Intervalle oder auch der Form des Leuchtkörpers. Das am hellsten leuchtende Weibchen lockt die meisten Männchen an.

Nach dem Sex geht das Licht aus

Die Männer fliegen in zwei bis drei Metern Höhe und lassen sich senkrecht auf ein Weibchen fallen, wenn sie es entdeckt haben. Es ist ein Rennen gegen die Zeit: Können Weibchen keine Männchen anlocken, wird das Leuchten schwächer und schwächer, bis die Laterne erlischt. Wenige Weibchen haben genug Energie, um länger als etwa zehn Tage zu leuchten. Klappt es mit der Paarung, stirbt das Männchen unmittelbar nach dem Akt, das Weibchen schaltet in der Regel sein Licht ab und beginnt wenige Tage darauf mit der Eiablage. Manchmal glimmen bereits die Eier der Glühwürmchen, auch die Larven können ein wenig schimmern, wenn sie gestört werden. Die fliegenden Leuchtkäfer leben nur etwa sieben bis zehn Tage in dieser Form. Ihre Larven bereiten sich zwei bis drei Jahre auf die wenigen Hochzeitstage vor. Das heißt, dass die Glühwürmchen weit weniger als ein Prozent ihrer Lebenszeit leuchten. Die Larven schlüpfen im August, nach zwei oder drei Wintern verpuppen sich die Larven im späten Frühjahr oder Frühsommer. Zehn Tage später verlassen sie als Käfer die Puppe. Dann folgt die Paarungszeit.

Nackt- und Gehäuseschnecken als Leibspeise

Die weltweit 2000 Glühwürmchenarten benutzen viele unterschiedliche Signale. Weibchen der nordamerikanischen Leuchtkäferart Photuris versicolor imitieren das Blinken der Leuchtkäferweibchen anderer Arten. Kommen die Männchen paarungswillig zum blinkenden Weibchen, erwartet sie jedoch statt Sex der Tod: Die Weibchen fressen die Männchen der anderen Art. Viele Leuchtkäferspezies haben keine Beißwerkzeuge, da die ausgewachsenen Tiere ohnehin nichts zu sich nehmen. Nur die Larven der Käfer fressen – und zwar reichlich. Ihre Leibspeise: Nackt- und Gehäuseschnecken aller Art. Da die Larven praktisch blind sind, folgen sie einfach dem Schleim, auf dem sich die Schnecken fortbewegen.

In Europa fliegen nur die Männchen

Versuche ergaben, dass die Larven auch 30 Stunden, nachdem eine Schnecke einen Weg genommen hat, ihre Spur verfolgen konnten. Die Larven greifen sogar bis zu 200-mal schwerere Tiere an, mit einem Biss wird den Schnecken ein lähmendes Gift injiziert. In Europa können nur die Männchen fliegen und blinken, die Weibchen haben nicht einmal Flügel. Während der Paarungszeit sitzen die Weibchen leuchtend im Gras oder auf Büschen, die Männchen tanzen blinkend durch die Luft und halten Ausschau. Manchmal bewegen sich die weiblichen Insekten nur wenige Zentimeter von ihrem angestammten Fleck weg. Alle Energie wird auf das Leuchten verwendet, jeder Ortswechsel wäre Kraftverschwendung.

Insekten sind extrem energieeffizient

Glühwürmchen leuchten nicht sehr hell, eine Kerze ist etwa tausendmal heller als ein mitteleuropäischer Leuchtkäfer. Stärker strahlen die Tiere in anderen Weltregionen wie den Urwäldern Lateinamerikas. Eines stimmt jedoch für fast alle Arten: Die Insekten sind extrem energieeffizient. Sie haben einen Wirkungsgrad von bis zu 98 Prozent. Das heißt, dass fast die gesamte Energie in Form von Licht und nur ein geringer Teil als Wärme abgegeben wird. Zum Vergleich: Bei einer herkömmlichen Glühlampe liegt der Wirkungsgrad bei 5 Prozent. Berührt man hell leuchtende Käfer, geben sie deshalb auch keine Wärme ab.

Forschung steigert Lichtausbeute von LEDs

Für die Forschung sind Glühwürmchen daher Vorbild bei der Entwicklung sparsamer Leuchtmittel. Wissenschaftler des Korea Advanced Institutes of Science and Technology zum Beispiel orientierten sich an der Nanostruktur des Käferpanzers: Die besteht aus kleinen Pyramiden, die in verschiedenen Winkeln angeordnet sind. So gelangt möglichst viel Licht nach außen. Am Ende gaben die in Korea entwickelten organischen Leuchtdioden 60 Prozent mehr Licht ab als bisherige OLEDs. Auch Forscher der Penn State University machten sich die asymmetrische Form des Leuchtkäferpanzers zunutze und konnten so die Lichtausbeute von LEDs deutlich steigern, wie die US-Amerikaner im Februar berichteten. Mediziner interessieren sich weniger für den Körperbau der Glühwürmchen, sondern für das Enzym Luciferase. Mit seiner Hilfe wollen etwa Forscher der Schweizerischen ETH Lausanne die Krebsdiagnostik verbessern: Sie veränderten das Enzym so, dass es aufleuchtet, wenn es sich an eine Tumorzelle anheftet.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x