Panorama Lassen Sie mich durch, ich bin dick

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Wer sich mit Übergewicht in die Öffentlichkeit traut, muss mit den abschätzenden Blicken der anderen rechnen.

Dicke Menschen haben es schwer. Beim Treppe steigen, bei der Suche nach einem passenden Sitzplatz, aber vor allem dann, wenn die Umwelt nicht weiß, wie sie mit diesen Dicken umgehen soll. Ein Erfahrungsbericht.

Ab einer gewissen Konfektionsgröße mustern dicke Menschen Stühle in der Öffentlichkeit sehr genau, bevor sie sich darauf niederlassen. Der prüfende Blick wandert über die besonders biegsame Plastikbeine von Vereinsgaststätten, er versucht, die Stabilität der kleinen Holznippel von Sonnenliegen in Beachbars einzuschätzen, und der Blick bleibt hoffnungslos auf Armlehnen ruhen, die dem Hintern zuschreien: „Du kommst hier nicht rein.“ Und wenn es das breite Gesäß doch zwischen die Metallstangen schafft, dann schickt der Mittelteil des Körpers schnell die Botschaft an den Kopf: „Wir bleiben hier für immer oder wir nehmen den Stuhl mit nach Hause. Anders geht’s nicht.“

Wann dick zu dick ist, verrät der Sicherheitsgurt

Es braucht viel Selbstbewusstsein, im Eiscafé eingezwängt drei Kugeln mit extra Schokosauce zu bestellen. Und Nachos schmecken im Kino auch nur halb so gut, wenn die Armlehnen schmerzhaft dort pieksen, wo der Käsedip gerne die überflüssigen Kalorien anlagern würde. Gut, wenn der Körper trotzdem irgendwie in den Sitz passt und sein Kopf die Demütigung mit sich selbst ausmachen muss. Schwierig wird es dann, wenn andere Menschen nicht nur abschätzig gucken, sondern in das Problem einbezogen werden. In einem Flugzeug beispielsweise. Kuschelig wird es in den engen Flugzeugsitzen schon für schlanke Menschen. Wann dick zu dick ist, verrät hier der Sicherheitsgurt. Der schließt irgendwann einfach nicht mehr. Es gibt Foren im Internet, in denen sich Dicke über ihre Sorgen und Ängste austauschen und sie sich gegenseitig nehmen können. Das Thema Flugzeuggurte findet dort mehr als einmal Erwähnung. In welchem Flugzeugtyp ist viel Platz und wie frage ich am geschicktesten nach einer Gurtverlängerung?

Doch lieber mit dem Schiff?

Wer als dicker Mensch nicht vorher überlegt, wie er es am besten anstellt, wird sich nachher zweimal überlegen, ob nicht auch ein Schiff gefahren wäre. Denn selbst, wer das Selbstbewusstsein für den Eisbecher mit Schokosauce aufbringt, kommt beim Flugzeuggurt an seine Grenzen. Die Hoheit über die Herausgabe haben nämlich Flugbegleiter, bei deren sexy sitzendem Kostüm meist schon zu erahnen ist, dass sie sich eher selten in Foren aufhalten, in denen Dicke ihre Probleme diskutieren. Schlüsselerlebnis war der Flug nach Marrakesch mit Ryaniar: Die dezente Frage nach der Gurtverlängerung im Trubel der allgemeinen Sitzplatzsuche brachte keinen Erfolg. Erst als sich alle niedergelassen hatten und mit dem Handy im Flugmodus aufmerksam darauf warteten, die Flugbegleiter bei der Sicherheitseinweisung zu beobachteten, brachte die 15 Minuten zurückliegende Frage ein Ergebnis: Gleich zwei Flugbegleiter schlängelten sich mit Gurtverlängerung in Signalfarbe durch die Sitzreihen und fragten lautstark nach der Frau auf den hinteren Sitzplätzen, die ihn sich gewünscht hatte. Die Armlehnen und Sicherheitsgurte dieser Welt fragen nicht danach, wie sich der Mensch fühlt, der sich setzen will. Sie bohren und pieksen einfach. Genau wie die Blicke und Kommentare der Mitmenschen.

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