Rheinpfalz Kulturschaffende, Naturschützer und Müllindustrie bilden Allianz gegen Müll

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Plastikmüll in den Ozeanen ist ein Thema, das derzeit viele Menschen bewegt. Plastik ist aber nur eine von vielen Baustellen beim Thema »Müll und Vermeidung«.

Die Menschen im Wohlstandsland Deutschland produzieren immer mehr Müll, und das nicht nur, weil sie ihren Abfall so brav trennen. In Ludwigshafen hat sich eine ungewöhnliche Allianz formiert, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Eine Botschaft: Schöne Statistiken mit Super-Recyclingquoten sind weniger als die halbe Wahrheit.

Thomas Grommes, der Geschäftsführer des Gemeinschafts-Müllheizkraftwerks in Ludwigshafen (GML), erzählt gerne die Geschichte vom ehemaligen Kreistagsabgeordneten der Grünen, der vor einigen Jahren eine Werksführung mitgemacht und berichtet habe: „Das letzte Mal war ich vor 40 Jahren da. Damals habe ich mich ans Tor gekettet.“ Er habe sich, sagt Grommes, bei dem einstigen Demonstranten bedankt. Erst das Engagement der Umweltbewegung und die Proteste an den Werkstoren hätten den Weg bereitet für die Müllheizkraftwerke von heute. Er weiß, dass die Anlagen früher große Mengen giftiger Stoffe wie Dioxine in die Luft bliesen. Heute liegt der Dioxin-Grenzwert bei 0,1 Milliardstel Gramm pro Kubikmeter Luft, die aus dem Schornstein kommt: „Wir liegen bei ein bis zwei Prozent davon“, sagt Grommes. Natürlich erzählt er die Story, um seine Anlage ins beste Licht zu rücken, um zu zeigen, was sich in der Branche und speziell in Ludwigshafen getan hat, seit 1974 das erste „Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ beschlossen wurde. Aber er will noch eine Botschaft verbreiten: „Wir brauchen mehr bürgerschaftliches Engagement“ – diesmal mit dem Ziel, weniger Müll zu produzieren.

Wirtschaftswachstum stehe Müllreduktion im Wege

Klingt erstaunlich, wenn das von jemandem kommt, der mit der Verbrennung von Müll sein Geld verdient. Grommes sagt dazu: „Nein, wir lassen den Abfall nicht produzieren, damit unsere Anlage ausgelastet ist. Wir stehen am Ende der Kette und müssen ausbaden, was Menschen gemacht und gekauft haben.“ Falls irgendwann weniger Müll anfallen sollte, würden sich die GML-Eigentümer, wie schon zweimal geschehen, einen weiteren Gesellschafter suchen, also eine andere Stadt oder einen Landkreis, die Müll anliefern. Am Ende der Entwicklung werde es vielleicht weniger Müllheizkraftwerke geben. Daran kann Grommes nichts Schlechtes finden: „So ist das mit der Effizienz. Effizientere Systeme brauchen weniger Ressourcen.“ Weniger Müll, sagt Grommes, das könne nur funktionieren, wenn nicht mehr Wachstum die Basis unseres Wirtschaftssystems sei. „Da regt sich in mir der Naturwissenschaftler“, erklärt der promovierte Chemiker. Er verstehe, wenn ein Politiker sagt: „Wir brauchen Wachstum“, aber plausibel sei das für ihn nicht. In einem geschlossenen Ökosystem könne es kein ewiges Wachstum geben, weil irgendwann Grenzen erreicht seien. Und: „Wachstum bringt immer mehr Müll mit sich“, sagt Grommes. Dabei müsse es doch darum gehen, Ressourcen nachhaltiger zu nutzen.

Top im Recycling, top beim Müllproduzieren

Na klar, die Deutschen sind Recycling-Weltmeister. Eine Recyclingquote von 66 Prozent erreicht sonst kein Land. Das Umweltbundesamt rechnete für 2017 sogar eine Verwertungsquote von 90 Prozent des Mülls vor, wenn man neben dem Recycling, bei dem aus altem Material neues hergestellt wird, die Verwertung in Müllheizkraftwerken dazuzählt. Dort werden aus Abfall Strom und Fernwärme gewonnen, in der Pfalz in Anlagen in Ludwigshafen und Pirmasens. Auch die Verwertung von Bauschutt oder Kiesabraum im Straßenbau wird in der Statistik – zu recht – mitgerechnet.  Wahr ist aber auch: Deutschland ist mit 626 Kilogramm pro Kopf und Jahr einer der größten Müllproduzenten in Europa, Tendenz steigend. Das hat zum einen positive Gründe: Hierzulande wird ein großer Teil des Mülls tatsächlich gesammelt und landet nicht unregistriert auf einer illegalen Deponie. Aber die Deutschen produzieren zum anderen seit Jahren auch wieder mehr Müll, weil sich das Leben der Menschen im Wohlstandsland verändert. Deutlich steigt zum Beispiel die Menge an Verpackungsmüll pro Kopf und Jahr auf den europaweiten Spitzenwert von inzwischen 220 Kilogramm an – weil wir immer häufiger außer Haus essen, weil die durchschnittliche Anzahl der Bewohner einer Wohnung immer weiter sinkt und weil seit Jahren der Online-Versandhandel boomt, der enorme Mengen an Verpackungsmaterial verbraucht.

Schein und Sein in der Abfallstatistik: Beispiel Autos

So erklärt die Zuwachsraten der Volkswirt Henning Wilts in seinem Aufsatz „Was passiert mit unserem Müll?“ für die Bundeszentrale für politische Bildung. Wilts arbeitet am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie und spricht von einer großen Verunsicherung der Verbraucher, was den Verpackungsmüll angeht, weil es in Deutschland für dessen Entsorgung inzwischen neun verschiedene duale Systeme gibt – also Systeme neben den öffentlich-rechtlichen Entsorgern, die sich um den übrigen Müll kümmern. So hielten sich hartnäckig Gerüchte, die Abfälle aus der Gelben Tonne oder dem Gelben Sack würden mit dem Restmüll zusammengeworfen. Tatsächlich aber müssen 36 Prozent der Kunststoffverpackungen recycelt werden, ab 2022 sogar 63 Prozent. Wilts liefert aber auch ein krasses Beispiel für das Auseinanderklaffen von Schein und Sein in der Abfallstatistik. Weil Altfahrzeuge wegen des Öls, der Batterieflüssigkeit, aber auch wegen der vielen verbauten Materialien als gefährlicher Abfall gelten, ist ihre Entsorgung besonders geregelt: 95 Prozent eines Altautos müssen recycelt werden. Deutschland erreichte laut Wilts 2016 beim Auto-Müll sogar einen Verwertungsanteil von stolzen 98 Prozent. Allerdings nur für einen Bruchteil der 2,88 Millionen Autos, die in dem Jahr stillgelegt wurden. Denn gerade einmal 410.000 dieser Altfahrzeuge wurden tatsächlich in Deutschland entsorgt (mit toller Recyclingquote). Der Rest ging überwiegend ins Ausland, in osteuropäische Länder oder nach Afrika, „wo die deutsche Altautoverordnung natürlich nicht gilt“. Die Pointe: Der Export von Altautos als Abfall ist illegal. Der Export von Gebrauchtwagen ist es nicht. Was mit den Autos im Ausland wirklich geschieht, ist nicht zu kontrollieren.

Ungewöhnliche Allianz wirbt für Wachstumskritik 

Der Müllheizkraftwerks-Chef Grommes ist in Ludwigshafen Teil einer ziemlich ungewöhnlichen Allianz, die den Blick der Menschen auf die Themen Wachstumskritik und Müll lenken will: zusammen mit dem Mannheimer Kulturverein Industrietempel, der Industrieanlagen für Aufführungen nutzt, aber auch mit der 200 Mitglieder starken Ludwigshafener Kreisgruppe des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), die bei der jüngsten Industrietempel-Aufführung im Müllheizkraftwerk Mitveranstalter war.  Mit im Boot ist der Philosoph und Autor Klaus Kufeld, Gründungsdirektor des Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrums. Er sagt: Weil das wohlhabende Fünftel der Menschheit fünf Sechstel der Weltgütermenge für sich beanspruche, „überstimmt das heilige und unumkehrbare Wachstumscredo das ökologisch vernünftige Handeln“. Die Politik, von schwarz bis grün, verfange sich daher „in der Endlosschleife des Wachstumsglaubens“.

Aufklärung und Verbote gegen mangelnde Vernunft

Frage an den Philosophen: „Wie kommt man mangelnder Vernunft bei, wenn es um die Vermeidung von Abfall geht?“ Der Weg der Bildung sei der einzige Weg, sagt Kufeld, und fügt hinzu: „Das alles ist ein mühsamer Prozess, bis die Erkenntnis beim Menschen ankommt, dass er sich gemeinschaftsverträglich verhält.“ Also geht es nur über Vorschriften und Verbote? „Das ist mir hochunsympathisch, aber ich sehe keinen anderen Weg.“ Es gehe darum, ein Verbot so zu verpacken und zu erklären, „dass man den individuellen Nutzen erkennen kann“. Vielleicht könne es einem auf diese Weise sympathisch werden, eine Glasflasche zu benutzen statt einer aus Plastik. Er sei da optimistisch, sagt Kufeld und verweist auf Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“. GML-Chef Grommes hat ebenfalls nicht die Hoffnung fahren lassen, dass die Umkehr im Denken und Handeln möglich ist. Ihn bestärkt die derzeit hohe Aufmerksamkeit für Plastikmüll in den Weltmeeren darin, dass die Menschen offen sind für das Thema, für Veränderung – und für bürgerschaftliches Engagement. Es muss sich ja niemand gleich an sein Werktor ketten.

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