Kolumnen Kolumne: Spaß für die ganze Familie

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Es gibt so ein paar Aussagen, da müssen sofort alle Alarmglocken anspringen oder ein böses Ende droht: Wenn einem der Frisör zu einer „pfiffigen Frisur“ rät, kann man davon ausgehen, hinterher wie ein frisch frisierter Depp auszusehen. Wenn Restaurants ihr Essen als „frisch und superlecker“ anpreisen, kann man davon ausgehen, dass es abgestandene Mumpe gibt. Und wenn irgendwo „Spaß für die ganze Familie“ steht, kann man davon ausgehen, dass mindestens zwei Drittel der Familie keinen Spaß haben. Meistens mehr.

Der amerikanische Comedian Jerry Seinfeld hat das vor Jahren schon sehr gut zusammengefasst: There is no such thing as fun for the whole family. Kann man ohne Einschränkung so stehen lassen. Wer „Spaß für die ganze Familie“ liest, sollte dem angeborenen Fluchtinstinkt nachgeben und schleunigst Land gewinnen. Es kann nicht gutgehen. Selbst wenn man nur von der Kernfamilie – Vater, Mutter, Kind(er) – ausgeht und nicht beispielsweise noch Oma, Opa, Schwippschwägerinnen und Großcousins dazuzählt. Da gäb’s eh Stress, das kennt man ja von Familienfeiern, und dass die Oma wirklich Spaß auf der Wildwasserbahn hat, kann man auch nahezu ausschließen. Doch auch im kleinsten Kreis der Lieben verheißt „Spaß für die ganze Familie“ nichts Gutes.

Die Interessenlagen klaffen weit auseinander

Was sehr damit zusammenhängt, dass Spaß haben etwas sehr Individuelles ist und jeder etwas anderes darunter versteht. Und dieses Phänomen ist nicht damit zu stoppen, dass Menschen denselben Nachnamen haben und unter einem Dach wohnen. Es ist ja auch zuhause schon so, dass die Interessenlagen weit auseinanderklaffen. Das geht gleich morgens los. Während die einen noch schlafen, drängen die anderen zum Aufstehen, und wo die einen gerne alleine im Badezimmer sind, um beim Zähneputzen schon mal die nächsten Stunden, Tage und Wochen im Kopf locker anzuplanen, drängen die anderen bereits in die Nasszelle, um dort unangenehme Enge und den Verlust des letztens Restchens Privatsphäre zu verursachen. Und diese doch sehr unterschiedlich gestrickten Menschen sollen dann alle zusammen „Spaß haben“? Es ist klar, dass das eine Erfindung von Werbestrategen ist und mit der Realität nichts zu tun hat. In Freizeitparks etwa haben die jüngeren Familienmitglieder durchaus Spaß auf Wildwasserbahnen, hier herrscht noch ein gewisser Konsens, während die Mütter nach einer Runde die Schnauze voll haben, weil sie vom Wildwasserbahnwächter ganz vorne im einem Baumstamm nachempfundenen Hartplastikboot platziert wurden und jetzt klatschnass sind. Sieht witzig aus auf dem Wildwasserbahnfoto, macht aber wenig Laune bei 15 Grad, das sollte doch hier eine von allen akzeptierte Standardmeinung sein, und die Oma würde das auch ganz genau so sehen. Aber die ist ja nicht dabei. Und im Freizeitpark gelten andere Regeln. Wenn da „Spaß für die ganze Familie“ steht, dann hat auch die ganze Familie Spaß. Hat einen Haufen Geld gekostet, lacht gefälligst!

Kantige Kinne vor der Wildwasserbahn

Es wird viel gelacht im Freizeitpark, und die Kinder lachen oft echt, so wie sie auch oft echt heulen, und bei vielen Erwachsenen sieht das Lachen durch jahrelange Übung auch fast echt aus. Nur wer selbst lacht wie nach einem Schuss ins Knie, bemerkt die kantigen Kinne von Müttern und Vätern, verursacht vom Lächeln mit zusammengebissenen Zähnen und knirschendem Unterkiefer, um sich nur ja keinen Hauch von (absolut berechtigter) Aggression anmerken zu lassen. Klatschnasses T-Shirt? Haha, lustig (wartet nur ab, bis wir zuhause sind). Nervtötendes Gejammer, weil es statt noch einer Freizeitpark-Limo nur noch mitgebrachte warme Plörre aus der Plastikflasche gibt? „Aber, aber, ihr kleinen Racker, das haben wir doch zuhause besprochen, nicht wahr, haha“ (gleich klatscht’s, ihr undankbaren Bratzen). Ein Einkaufszentrum warb letztens mit „Einkaufsspaß für die ganze Familie“. Ich bin nicht drauf reingefallen, war ganz alleine dort, wunderbar. Ein Pärchen zog mit einem Hund seine Runden, und als ich noch dachte, ach du liebe Zeit, der arme Hund, was macht der denn hier, der sieht ja nur Beine, fiel mir eine Familie auf, die offenbar den Plan verfolgt hatte, mit einem Baby und zwei Kleinkindern im dichten Gedränge zu shoppen. Der Plan war wohl nicht aufgegangen, das eine Kleinkind lag auf dem Boden und weigerte sich weiterzulaufen, das andere brüllte und der Vater schließlich auch. „Ich nehme euch NIIIEEE wieder mit irgendwohin!!!“, herrschte er seine Kinder an und vermutlich auch seine Frau und das Baby, das war nicht so ganz klar. Er wirkte verzweifelt und unsouverän und war mir in diesem Moment des Contenance-Verlierens sehr sympathisch. Das befreiende Schreien entkantete umgehend seine Kinnpartie. Der Mann hatte es geblickt. (Einkaufs-)Spaß für die ganze Familie. Ja, ja…

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