Kolumnen Kolumne: Spätsommerstress

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Im Hochbeet wuchern immer noch die Zucchini, einige Exemplare ähneln von Länge und Form her bereits einem Baseballschläger, nur viel dicker. „Du musst sie früh ernten, sonst schmecken sie nicht mehr“, lautet der weise Rat altgedienter Zucchini-Pflanzer. Ja, danke. Weiß ich. Ich komme aber nicht nach mit der Verarbeitung. Und verarbeitet werden müssen sie ja. Geschmack ist da zweitrangig. Ich kann die Dinger ja nicht direkt auf den Kompost werfen. Vielleicht nachts. Wenn es niemand sieht. Wenn es aber doch jemand sieht, könnte er annehmen, dass da jemand morgens um vier mit einem Baseballschläger durch unseren Garten schleicht. Und zack stünde die Polizei vor der Tür. „Was machen Sie da?“ „Ich bringe heimlich Monsterzucchini zum Komposthaufen.“ „Ja, ja, kommen Sie mal mit auf die Wache, da machen wir dann gleich noch einen Alkoholtest.“ Geht also nicht.

Raffinesse in Scheiben

Gibt’s halt schon wieder Zucchini-Schnitzel. Dass die genau so gut schmecken wie richtige Schnitzel, ist natürlich gelogen, denn in Zucchini ist ja gar kein Fleisch enthalten. Nur jede Menge Wasserspeicher, weshalb die Dinger auch wachsen wie blöd. So lassen sie sich ganz gut in handliche Scheiben schneiden, die man dann tatsächlich panieren, braten und essen kann. Und sie sind wirklich okay, doch, irgendwie schon. Wenn man sich nicht daran stört, dass bereits die Wochen davor kulinarisch in der Hauptsache aus dem raumfordernden Kürbisgewächs bestanden. Zucchinisuppe, Zucchinipuffer, gefüllte Zucchini, Zucchinisalat, gegrillte Zucchini oder eben Zucchinischnitzel – Online-Rezeptverzeichnisse wie Chefkoch.de sind da echt nützlich, hauen fast täglich neue Zucchinirezepte raus, eins „raffinierter“ als das andere.

Das Grauen der Hydra Aber Zucchinipflanzen sind wie eine Hydra. Kaum hat man an einer Stelle einen Kopf abgeschlagen, wachsen dort zwei neue nach. Während man oben in der Küche noch benommen grüngestreifte „Schnitzel“ in Bataillonsstärke brät, glaubt man unten im Garten schon wieder den nächsten Kaventsmann nachwachsen zu hören, mit so einem grauenvollen fiepig-prasselnden Geräusch. Ist aber nur das zischende Bratfett. Oder das angespannte Nervenkostüm

400 Gramm sind viel zu wenig

„Man kann aus Zucchini auch Kuchen machen.“ Jo. Kann man. Nutzt aber nicht viel, wenn in den Kuchen nur 400 Gramm Zucchini kommen. So ein Rezept hatte ich letztens. Der Kuchen war auch ganz okay, wenn man mal von den grünen Sprengseln innendrin absieht. Aber man kann ja die Augen zumachen beim Essen, und er war immerhin saftig, hielt tagelang, und das Beste, darin waren sich alle einig: Er schmeckte kein bisschen nach Zucchini. Da auch Mandeln und Zucker drin vorkamen, schmeckte er vorrangig nach diesen beiden klassischen Kuchenzutaten, ein Umstand, der auch der fortgeschrittenen Geschmacksneutralität meterlanger Zucchini zu verdanken ist. Womit wir aber auch wieder beim Problem des Kuchens wären: Wenn von so einem Riesenoschi nur 400 Gramm verwendet werden, bleiben noch zweieinhalb Kilo übrig. Also wieder Zucchinischnitzel. Oder Suppe. Und der Kuchen muss ja auch noch gegessen werden.

Findelkinder auf der Türschwelle

Nehmen Freunde und Verwandte ansonsten gerne Geschenke entgegen, reagieren sie im Spätsommer und Frühherbst häufig gestresst. „Hau bloß ab mit deinen Zucchini, ich hab‘ selbst den ganzen Garten voll!“ Ist ja gut, wollte ja nur freundlich sein. Und Zucchini loswerden. Soll ja nix umkommen. Kann ja mal ein anderer Schnitzel braten. Aber nein. Ablehnung pur. Der Nachbar meiner Eltern geht da viel geschickter vor. Er legt seine Ernte einfach auf der Türschwelle ab, und wenn meine Eltern morgens die Haustür öffnen, kann es gut sein, dass da zwei junge Hokkaido-Kürbisse und ein Drei-Liter-Eimer voll Brechbohnen traurig zu ihnen hochschauen. Natürlich bringen meine Eltern solche Findelkinder nicht ins Heim, sondern zu mir. „Hier, da kann man doch was Gutes draus machen.“ Sicher. Ich guck gleich mal nach, ob’s bei Chefkoch.de Brechbohnenkuchen gibt. Backen müsste ich den allerdings woanders. Mein Ofen ist voll mit Zwetschgen- und Mirabellenkuchen. „Aus Zwetschgen kann man auch Latwerch machen.“ Jo. Dann macht halt!!!

Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags.

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