Kolumnen Kolumne: Jahresordnungspunkt 1 – Der Oberflächennutzungsplan

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2020 wird mein Jahr der Oberfläche, 2021 auch, und wenn’s gut läuft auch noch alle nachfolgenden. Alles andere ist einfach zu aufreibend, wenngleich der Tiefsinn mit Sicherheit seine Berechtigung hat, an den richtigen Stellen und zur richtigen Zeit, beim Neujahrsempfang der Verbandsgemeinde etwa, wenn der Verbandsbürgermeister auch mal Mensch ist und die Bürger mit einem in die Mehrzweckhalle hineingerufenen „Auch der Kapitän des Schiffs Verbandsgemeinde hängt manchmal brechend über der Reeling!“ an seinen Gefühlen teilhaben lässt. Ansonsten sind die Klippen des Lebens im Tiefgang eher schwer zu umschiffen, und das ist ja nun schon wieder ganz schön tiefsinnig.

Oben wird’s mysteriös, und unten geht’s auch nicht weiter

Die Oberflächlichkeit hat zu Unrecht einen schlechten Ruf. Stures Verharren an der Oberfläche bringt sehr viele Vorteile, es ist ein guter, alltagstauglicher Standort, und man kommt ja auch sonst gar nicht voran. Nach oben geht’s nicht weiter, das ist sicher, da sind der Himmel und das All, und dann wird’s auch schon mysteriös, was ist eigentlich hinter dem All und nebendran und um die Ecke, und wie sieht’s da aus, und warum dehnt sich das All ständig aus, wo man doch jetzt schon den Überblick verloren hat. Da kann man lange auf eine Antwort warten und alles noch mal neu berechnen und durchdenken, und wenn man ein Astrophysiker ist, mag das auch angehen, dann findet man wohl auch rein beruflich die Zeit dafür, die Geheimnisse des Weltraums, des Lebens und seines Sinns zu erforschen.

Der Weltraum ist keine große Hilfe

Für alle anderen gilt: Zurück zur Oberfläche, wo Terminabsprachen mit Autowerkstätten und auf- und nachzufüllende Kühlschränke sowie Plastikeinhängekörbchen für Klosteine warten. Oberflächlich betrachtet sind das keine spektakulären Tätigkeiten, die den Ausübenden mit Freude und einer inneren Zufriedenheit erfüllen. Tiefsinnig betrachtet, sind sie es auch nicht. Sie haben einfach keinen tieferen Sinn, außer dass hinterher die Karre wieder läuft und das Klo nach Walderdbeeren riecht statt nach dem, was man sonst so vermuten würde. Solche Sachen muss man halt machen, und der Weltraum ist da keine große Hilfe. To-Do-Listen, Gummihandschuhe und eine an der Oberfläche orientierte Grundhaltung schon.

Khalil weiß Bescheid

Denn: Nach unten geht’s ja auch nicht weiter. Das Abtauchen in den Mikrokosmos der, sagen wir, zwischenmenschlichen Beziehungen und psychologischen Erkenntnisse bringt höchstens bei Taufen und Hochzeiten tiefsinnige Erkenntnisse, und auch die sind mit Vorsicht zu genießen. Kaum hat man sich’s im Kirchenschiff oberflächlich gemütlich gemacht, liest auch schon wieder einer was von Khalil Gibran vor, jener Philosoph und Dichter mit der bemerkenswerten Bandbreite an Themen. Liebe, Trennung, Natur, Kinder, Trauer, das Leben im Allgemeinen - Khalil Gibran wusste Bescheid. „Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst. Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen; denn die Liebe genügt der Liebe“, hat er sich zum Beispiel zusammenphilosophiert, und nun werden jedes Wochenende Tausende von ohnehin verunsicherten Brautpaaren damit traktiert. Und das ist nur ein Auszug, das Ding geht noch weiter.

Wer zu tief taucht, kriegt nasse Haare

Ganz klar, dass Khalil Gibran auch was zum Thema Tiefsinn beisteuern kann, sogar auf der Metaebene, denn er hat Tiefsinniges über den Tiefsinn verfasst: „Du kannst dein Leben nicht verlängern, und du kannst es auch nicht verbreitern, aber du kannst es vertiefen!“. Es ist auch gar nicht ausgeschlossen, dass da was dran ist, aber da ist immer noch die Sache mit dem Plastikeinhängekörbchen, und da vertiefe ich mich lieber nicht zu sehr drin, da bleibe ich schön an der Oberfläche, denn das Klostein Nachfüllen genügt dem Klostein Nachfüllen. Es braucht keinen tieferen Sinn, der oberflächliche, sofort erkennbare genügt absolut, und da dichte ich jetzt auch mal einen Aphorismus: Wer zu tief in die Schüssel taucht, kriegt nasse Haare. Postkarten-, Kühlschrankmagneten- und Mehrzweckhallen-tauglich, oder nicht? Das ein oder andere Brautpaar dürfte sich auch darüber freuen.


Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten. Die Kolumne Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen.

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