Kolumnen Kolumne: Individualisten oder der quersteckende Furz

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In meiner letzten Kolumne habe ich Teamarbeit abgelehnt, worauf viele meinten, ich sei wohl eine Individualistin. Ich weise das von mir. So eine bin ich nicht.

Mit mir kann man sehr gut einen draufmachen, dafür gibt’s Zeugen durch mehrere Jahrzehnte im In- und Ausland. Mit Individualisten einen draufmachen kann man hingegen vergessen. Das mit dem Individuellen mag in anderen Bereichen angehen, aber beim Feiern hat es nix verloren. Da ist das Kollektiv gefragt. Ein gemeinsamer Wille muss da sein, ein Ziel auch, unbedingte Ge- und Entschlossenheit, dass das heute ein geiler Abend wird. Das Ganze muss Tage und Wochen vorher feststehen. So was geht auf gar keinen Fall spontan. Und schon gar nicht individuell.

Gegen die Schublade schwimmen

Sie wollen kein Herdenvieh sein, die Individualisten, schon klar, sie haben ihre eigenen Gedanken, Meinungen und Ideen zu allem, sie lassen sich in keine Schublade stecken, schwimmen gegen den Strom, und auf ihren Aufklebern steht: „Lebe nur nach deiner eigenen Melodie und tanze nicht nach Noten anderer, sonst kommst du aus dem Takt“.

Dann ist Helmut gekränkt

Es ist aber nun halt mal so, dass niemand, wenn der Helmut auf dem Stadtfest mal wieder stehenbleiben will, während es die restliche Feiergruppe zum nächsten Stand zieht, denkt: ,Mensch, guck mal, der Helmut, der ist aber heute wieder ganz schön individuell und 100 Prozent in seinem Takt‘, sondern alle denken ,Boar, Helmut, hopp, was für ein Furz steckt dir denn jetzt wieder quer?!‘ und manche sprechen das auch aus. Dann ist Helmut gekränkt und zischt schmallippig, er möchte jetzt aber lieber noch hier in aller Ruhe seinen Sex On The Beach austrinken, und das Kollektiv zieht weiter, nur der oder die Gutmütigste bleibt zurück bei Helmut, damit der nicht am Ende noch ins Wasser geht, nur um allen die Stimmung noch mehr zu versauen.

Zuhause bleiben sie aber auch nicht

Es ist ein Kreuz mit den Individualisten auf Festen, denn mit wollen sie ja dann am Ende doch immer, was gar nicht so leicht nachzuvollziehen ist, wo doch mit dem Arsch und der Scheißlaune Zuhause zu bleiben Individualität in Reinform wäre. Aber nein, nach viel Hin und Her und „Ach Gott, ich weiß nicht, ich glaube, ich gehe lieber zum Handtaschentanz nach Breitfurt, da ist es nicht so voll“ stehen sie dann nach dem finalen „Bei mir wird’s später“ irgendwann doch auf der Matte. Mit individuell verschränkten Armen und hochgezogenen Augenbrauen. Die anderen müssen erst mal schnell was nachkippen, um die plötzlich aufziehende dunkle Wolke über dem Festplatz zu vertreiben.

Clare’s Law

In der Netflix-Serie „Derry Girls“, die im Nordirland der 90er spielt, verabreden ebenjene Girls, nach den Ferien individuell zu sein und keine Schulblazer mehr zu tragen. Clare ist dann die einzige, die in Jeansjacke kommt, bei den anderen haben’s die Mütter nicht erlaubt. Worauf Clare empört ausruft: „I’m not being an individual on my own!“ Das scheint auch das Motto hiesiger Individualisten zu sein. Sie haben offenbar mit dem Nordirland-Konflikt mehr zu tun als man bisher ahnte. Obwohl man es hätte ahnen können, Stichwort Sex On The Beach jetzt hier aber mal in Ruhe austrinken und kriegt ihr denn den Hals nicht voll!?

Am Ende trifft’s den Musiker

Nach zwei Stunden getrennter Wege auf dem Stadtfest trifft die kreischende und von den ganzen gebrüllten Coversongs halbtaube Feiertruppe dann irgendwann wieder auf Helmut, an individual on his own now, denn die gutmütige Betreuungsperson von vorhin hat inzwischen auch die Nerven verloren und den letzten Bus nachhause genommen. Helmut steht vor einer Bühne, die gerade gefegt wird, und erklärt einem Musiker etwas. Der Musiker wirkt hektisch, denn er muss gleichzeitig Kabel entwirren und Helmut zuhören, sonst, das spürt sogar dieser Unbeteiligte offenbar ganz deutlich, ist Helmut wieder beleidigt.

Das Didgeridoo-Quartett verpasst

Nachdem auch nach fünf Minuten keiner gefragt hat, wie es denn bei Helmut war, schnappt sich Helmut das schwächste Mitglied der Gruppe, als es diese unvorsichtig in Richtung Dixi-Klo verlässt, und informiert von sich aus: „Ich war die ganze Zeit hier. Ein Didgeridoo-Quartett hat gespielt. Das war richtig gut. Nicht so Mainstream. Den anderen drei Zuschauern hat’s auch total gut gefallen. Da habt ihr was verpasst.“ Und das von hinten kalt erwischte, fluchtunfähige Gruppenmitglied denkt wieder nicht ,Boar, der Helmut, der alte Individualist, cool!‘, sondern ,Boar, Helmut, halt’s Maul.‘

Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags.

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