Kolumnen Kolumne: Fanta bei Aldi

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Bei Aldi gibt’s jetzt Tickets für die Jubiläumstour der Fantastischen Vier, und man kann nicht mal nörgeln „Rock’n’Roll ist das aber nicht!“, denn die Fanta Vier machen ja gar keinen Rock’n’Roll, sondern Hip Hop in Deutsch. „Hip Hop in Deutsch ist das aber nicht!“ könnte man jetzt aufgebracht rufen, aber das klingt ja auch irgendwie beknackt.

Smudo und Trullari zum Discounter-Preis

Im ersten Moment habe ich schon gestutzt, das muss ich zugeben. Auf der ersten Seite des Aldi-Prospekts oben Smudo und die anderen Fantastischen, in Schwarz-Weiß, mit typischen Rapper-Handbewegungen, abgeschaut von asiatischen Winkekatzen, unten Reklame für den Trullari Nero die Troia Puglia IGP, bei dem es sich offensichtlich um einen Rotwein handelt. IGP steht für Indication Géographique Protégée, ein Wein also mit geschützter geografischer Angabe, früher bekannt als Vin de Pays, Landwein. Die Fanta-Vier-Tickets kosten ab 49,90 Euro, den Trullari gibt’s stabil für 4,99 Euro. Live-Musik und roten Fusel zum Discount-Preis. Da muss man erst mal schlucken. Notfalls den Trullari.

Geht’s noch, Thomas D?!

Ausgebildete Konzertbesucher und Fans schlucken nicht nur, sondern toben. Wie man sich als Künstler so gehenlassen könne, Tickets bei Aldi zu verscherbeln, ausgerechnet Aldi, wo’s Hosen aus China gibt für 7,99 Euro inklusive katastrophaler Arbeitsbedingungen im Herstellerland und in dicke Plastikschichten eingeschweißte wurstähnliche Scheiben aus Schlachtabfällen oder wasweißich! Geht’s noch, Thomas D?! Steht das D neuerdings für Dachschaden?! Du bist Veganer, schon vergessen?!

Bauanleitung „Veganer Burger“

Solche Entrüstung liegt nahe. Wer jedoch im Prospekt weiterblättert auf Seite 31, der findet dort die Bauanleitung „Veganer Burger selbstgemacht zum Aldi-Preis vollpflanzlich 100 Prozent fleischlos“. Gut, letzteres sollte man annehmen bei einem veganen Burger, aber trotzdem: Aldi, vegane Ernährung und Hip-Hop in Deutsch scheinen sich nicht gänzlich auszuschließen. Thomas D hat wieder Rückenwind. Smudo ist nicht mal Vegetarier. Verzichtet aber bei Tourneen Thomas D zuliebe auf Fleisch. Was ja für Empathie und einen gewissen Anstand spricht.

Die Welt ist voller Widersprüche

Kann Anstand und Empathie haben, wer bei Aldi verkauft und kauft? Denkbar ist es. Die Fantastischen Vier sind ein nicht allzu schlechtes Beispiel dafür. Und ich. Wenn’s bei Aldi billige Schüsseln gibt, kann’s sein, dass ich die kaufe. Und Essen, das auch. Dennoch würde ich mich jetzt nicht als gewissenlose Ausbeuter-, Umweltzerstörungs- und Ignoranz-Kuh bezeichnen. So hart geht man in der Regel aber auch nicht mit sich selbst ins Gericht. Mit anderen schon. Die Welt ist voller Widersprüche. Und überhaupt voller Sprüche.

Ansonsten alles Kunst?

„Die Kunst dem Kommerz opfern“ ist auch so ein Spruch. Und wohl auch das, was den Fanta Vier vorgeworfen wird. Gerade so, als ob es sonst bei Live-Konzerten populärer Interpreten stets und ausschließlich um die Musik gehen würde. Die schweineteuren Tickets, fünf Euro für ein Bier im Plastikbecher, und wenn die Chose über mehrere Tage im Freien stattfindet, kann man auch noch für den schlammigen Zeltplatz blechen, der von der Bühne so weit weg ist wie Aldi Süd von Aldi Nord – all das scheint kunstkonform und nicht kommerziell zu sein. Den Trullari im Kanister kriegt man am Eingang weggenommen. Sonst trinkt ja keiner das Bier für fünf Euro.

All inclusive für Festival-Besucher

Vor einiger Zeit schon warb Aldi für Festival-Kits. Was da alles dabei war, weiß ich nicht mehr, jedenfalls unter anderem Sonnencreme, Getränke und Band-T-Shirts. Hygienespray war, glaube ich, auch dabei. Und Strandmuscheln. Huh, wie krass ist das denn, das All-inclusive-Paket für den verwöhnten Festival-Besucher, oder was?! Solche Gedanken schießen einem durch den Kopf. Aber wieso eigentlich? Weil man dann Grund hat, sich der verweichlichten Jugend moralisch (und festivaltechnisch) überlegen zu fühlen? Also, wenn ich ehrlich bin, hatte ich bei Festivals auch immer Sonnencreme, Getränke und Band-T-Shirts dabei. Nur halt nicht als Kit, sondern einzeln gekauft. Eine Strandmuschel nicht, nein, aber Hygienespray durchaus. Fragwürdige Dixieklos ohne Hilfsrequisiten zu benutzen ist weder Rock’n’Roll noch Hip Hop in Deutsch noch moralisch zu begründen. Nur mit sehr viel Bier (für fünf Euro).

MFG

Fassen wir also zusammen: Wenn die Fanta Vier ihre Tickets bei Aldi verkaufen, ist das auch nicht verwerflicher als wenn sie dies bei zum Beispiel Eventim tun. Denn auch dieser börsennotierte Konzertticket-Verkaufskonzern ist – man höre und staune – aufs Geldverdienen aus, auf den Kommerz, auf den Profit. Rock’n’Roll ist das auch nicht. Warum sich hier keiner echauffiert? Darüber könnte man mal bei einem schönen Gläschen Trullari feste mit dem Kopf nachdenken. MFG


Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten. Die Kolumne Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags.

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