Kolumnen Kolumne: Et Brennspiritus sancti

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Wer Anfang April 50 wird, kann die Feierlichkeiten zu diesem Anlass getrost auf Anfang Oktober verlegen, da sagt kein Mensch was. Das Wetter ist hier wie da katastrophal, und das Nicht-am-Geburtstag-selbst-feiern, weil’s da vielleicht grad nicht so gut passt, ist ein allgemein anerkannter Vorgang, der selten hinterfragt wird.

Die Rückkehr der Raclette-Maschine

Anders sieht es beim Jahreswechsel aus, dessen Feier ja auch immer grad nicht so gut passt. Eine Verlegung der Party auf einen späteren Termin wird hier allerdings gesellschaftlich geächtet. Kannst du doch nicht machen, spinnst du, nein, das geht nicht, und es gibt ja auch im April gar keine Raketen und Knallfrösche mehr, und das Wetter ist da ja auch nicht besser, und das wird jetzt gefeiert, jetzt, da müssen alle durch! Antriebsschwäche ist kein Argument, los jetzt, alle rauf auf den Speicher, die Raclette- und Fondue-Maschinen flottmachen, vielleicht auch kurz reinigen, und Brennspiritus kaufen, nein, nicht am 31., jetzt, sonst sitzen wir wieder da mit kaltem Käse und rohem Fleisch!!! NEIN, ICH BIN NICHT GEREIZT!!!

Der Abstand ist zu kurz

Mir ist einfach nur der Abstand viel zu kurz. Sieben Tage zwischen Heiligabend und Silvester, vollgepackt mit zwei Weihnachtsfeiertagen und einem Wochenende, das ist eindeutig zu wenig, das reicht nicht zum Regenerieren, da ist ja kaum Leerlauf, um sich vielleicht mal zwei, drei Gedanken zu machen, wie der letzte Tag des Jahres aussehen könnte, auf was man überhaupt Lust hat, wer einem über Weihnachten oder schon davor nicht auf den Senkel gegangen ist und deshalb als potenzielle Gesellschaft zum Start ins neue Jahr in Frage kommt. Weil andere zum selben Ergebnis kommen, sind die Nicht-auf-den-Senkel-Geher aber schon seit April verplant, und man bleibt zurück mit dem heißen Stein, anderen (Silvester-)Muffeln und einem eklatanten Brennspiritusmangel. Im allgemeinen Sprachgebrauch schlägt sich das als „Wir machen es uns zuhause gemütlich“ nieder.

Bibel und Himmelskörpern ist schlecht beizukommen

Das klingt jetzt alles sehr negativ, ich weiß, Weihnachten ist ja an sich okay, Silvester auch, beides potenziell schöne Feste, wenn auch von der Deko her inkompatibel, was unpraktisch ist, aber dennoch jedes für sich genommen durchaus in der Lage, angenehme Momente zu erzeugen. Wenn sie nur nicht jedes Jahr so schnell hintereinander kämen. Ich weiß jetzt aber auch nicht, wo ich mich da beschweren sollte. Dem Christentum braucht man mit einer Verlegung von Weihnachten nicht zu kommen, die haben ihre festen Termine, die ergeben sich aus der Bibel, und da ist nichts zu machen. Dem Gregorianischen Kalender ist bezüglich eines Verschiebens des Jahresanfangs auch schlecht beizukommen. Er beruft sich auf die Himmelskörper, und die sind auch von jeher schlecht ansprechbar oder gar von irgendwas zu überzeugen. Es ist halt einfach Pech und muss akzeptiert werden, wie wenn man an Weihnachten Geburtstag hat, ohne Jesus zu sein.

Chinesin werden könnte helfen

Höchstens von Zweibrücken aus die chinesische Staatsbürgerschaft zu beantragen, um künftig guten Gewissens zusammen mit den neuen asiatischen Landmännern und -frauen den Jahreswechsel zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar zu begehen, wäre eine Option, die man vielleicht mal für die Zukunft ins Auge fassen könnte. Da ich seit Kurzem Mitbesitzerin eines sechsteiligen Mini-Wok-Party-Sets bin - orientiert am Beispiel des Carsharings oder auch des landwirtschaftlichen Maschinenrings - wäre die Essensfrage auch schon geklärt. Und, noch ein Vorteil: Das Mini-Wok-Party-Set wird per Stecker heiß, da könnte höchstens mal das seltene Ereignis eines Stromausfalls einen kurzzeitigen Mangel verursachen. In Nomine Patris et Filii et Brennspiritus sancti, oder: Guten Rutsch!


Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten. Die Kolumne Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen.

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