Kolumnen Kolumne: Entscheidungen

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Wer sich für etwas entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig gegen etwas anderes. Vor dem Hintergrund ist es zu verstehen, dass man sich manche Entscheidung nicht leicht macht, lange darüber nachdenkt, die Pros und Kontras Stunden, Tage und Wochen hin- und herwälzt. Nicht, dass man sich am Ende für das Falsche entscheidet und dann das Richtige verpasst. Dass man in „Twilight – Biss zum Morgengrauen“ hockt, während im Kino nebenan „Alien vs. Predator“ läuft.

Das vorbildliche Verkaufsgespräch

Genaues Abwägen ist in vielen Lebenssituationen unabdingbar. Allerdings nicht an der Wursttheke. Da sollte es flott zugehen. Die Entscheidung sollte feststehen. Oder zumindest eine Tendenz, die man sich bestenfalls auf einem Einkaufszettel notiert hat. Den kann man dann ablesen. „Ich hätte gerne 100 Gramm Fitness-Salami, eine geräucherte Leberwurst und einen Ringel Lyoner.“ „Gerne. Darf’s ein bisschen mehr sein? Es sind 112 Gramm Salami.“ „Das macht nichts, geben Sie her.“ „Bitte.“ „Danke. Tschüss.“ „Wer ist jetzt dran?“ So sieht ein vorbildliches Verkaufsgespräch aus. In letzter Zeit häuft es sich indes, dass ich hinter Menschen stehe, die offenbar keinen blassen Schimmer haben, welche Wurst sie denn heute mal einkaufen könnten, ob sie überhaupt Wurst kaufen möchten und was Wurst eigentlich ist. Einkaufszettel haben sie keine, und wenn doch, scheinen die keine genauen Informationen zu enthalten, vielleicht steht nur „Wurst“ drauf oder „Essen“ oder es ist nur ein weißes Blatt, unbeschrieben, um sich keine Möglichkeit von vornherein durch engstirnige Festlegungen zu verbauen.

Grüne Sprengsel aus Rom

„Was möchten Sie?“ Und dann geht’s los. „Hm, ich weiß nicht so recht, die Schinkenwurst sieht gut aus, aber die hatten wir erst, ich esse die ja gerne, aber mein Mann nicht so, und dann muss ich die immer alleine essen, und dann ist das oft so viel, dann nehme ich mal nur 50 Gramm, aber das isst dann vielleicht auch wieder keiner, ach wissen Sie was, nein, ich nehme keine Schinkenwurst, ich nehme von der Wurst da hinten, die da, nein, noch eins weiter, ja, die mit den grünen Sprengseln, was ist denn das für eine Wurst, was ist denn denn da drin und wo kommt die her? Aus Italien, na so was, in Italien waren wir mal in Urlaub, auf einem Campingplatz bei Rom, was? Ach nein, lieber doch nicht, mit dem Grün, das sieht ja nicht so appetitlich aus, wie bereitet man eigentlich Westfäler zu, kalt essen, nein, das will mein Mann nicht so, ich nehme vielleicht was von der gelblichen Wurst da hinten, was? Ach so, das ist Käse, wo kommt denn der her und was ist denn da drin?“ Bei den Kunden hintendran sind die Fingernägel in der Zwischenzeit um zwei Millimeter gewachsen und eine gewisse Aggressivität macht sich breit. Man wollte eigentlich um sechs zuhause sein, nun ist es draußen dunkel und drinnen immer noch unklar, ob der Käse denn drei bis vier Wochen halten wird, sollte er nicht vorher aufgegessen werden, was unwahrscheinlich ist, da der Mann der Kundin vornedran Käse nicht so gerne isst und seine Frau nicht jeden Tag Käse essen möchte, zumindest nicht jeden Tag denselben Käse. Die Verkäuferin sieht müde aus. „Vielleicht Kalbsleberwurst?“ fragt sie schwach, aber sie weiß, dass sie verloren hat. Auch das Ende der Schlange gibt auf und dreht ab in Richtung Getränke.

Bei Getränken ist es keinen Deut besser

Getränke. Gutes Stichwort, das ich mir da selbst gerade gebe. Auch bei Getränken macht sich nach meinen Beobachtungen die fatale Unfähigkeit breit, einfach mal was zu bestellen, es zu trinken, sollte es schmecken, noch mal dasselbe zu bestellen, und sollte es nicht schmecken was anderes. Trinken kann so einfach sein, Naturtalente wissen das, viele haben aber Schwierigkeiten. An einer Sektbar im rheinhessischen Oppenheim wollte ich neulich fünf Rieslingsekt bestellen. „Ich bin gleich zurück“ rief ich meinen Mitreisenden zu, aber das stimmte nicht. Zunächst ging es Schlag auf Schlag an der Bar, dann war das Paar vor mir dran. Statt die Bestellung runterzurattern, auf dass man die Nerven der anderen Wartenden nicht über Gebühr strapaziert, wurde erst mal durchgezählt. „Eins, zwei, drei, … trinkt Tamara auch Sekt?“ „Nein, sie trinkt keinen Alkohol.“ „Haben Sie auch alkoholfreien Sekt?“ „Ja.“ „Tamaraaa, die haben auch alkoholfreien Sekt! Nein?“ „Sie wünschen, bitte?“ „Was ist denn der Unterschied zwischen dem Rieslingsekt und dem Winzersekt?“ „Tamara könnte ja auch einen Traubensaft trinken, Tamaraaa! Traubensaft?“ „Nö, will nix.“ „Der Sekt-Cocktail mit Ingwer, ist da der Ingwer frisch oder ist da Sirup drin?“ „Du, Prosecco hört sich auch gut an, und der ist nicht so teuer“ „Sie könnte ja auch Wasser trinken. Tamaraaa…“ „Nein!“ „Ist ja gut, ich frag ja bloß, sie ist so dünnhäutig, da meint man’s gut…“ „Was willst du denn jetzt?“ „Ich weiß nicht, was trinkt denn Claudia. Claauudiaaa …!“ „Essen wir nachher noch was?“

Gedanken einer Sektbarfrau

Ich sehe der Sektbarfrau in die Augen und lese ihre Gedanken: Sauft jetzt irgendetwas von der Plörre hier, ihr Schwachköpfe, oder ich kann für nichts garantieren. Und das hat sie in Sekundenbruchteilen entschieden.


Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten. Die Kolumne Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen. 

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