Kolumnen Kolumne: Die besonderen Erlebnisse auf dem Weihnachtsmarkt

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An Wochenenden in der Vorweihnachtszeit kann es passieren, dass man morgens müde in die Küche schlurft und auf Tisch und Boden verstreut Folgendes vorfindet: einen Klumpen handgeschöpfte Seife, dezent nach Veilchen duftend, ein Paar Lammfellhausschuhe, deren Schafstallgeruch mit dem Veilchenaroma ringt, ein Fingerhütchen Sahne-Walnuss-Likör in einem wie ein Stern geformten Fläschchen und einen kreischgrünen Häkelschal mit fetten Maschen und Idioten-Bommeln dran, in dem man im Lungensanatorium auf Spiekeroog eine gute Figur machen würde. In der Kehle steigt Magensäure auf, und spätestens da fällt einem wieder ein, dass man am Abend vorher einen Weihnachtsmarkt besucht hat.

Wichtig ist das Kunsthandwerk

Auf Weihnachtsmärkte wird viel gescholten: zu kommerziell, zu viele Lichterketten, zu laute Musik, zu viel Ramsch, zu wenig Kunsthandwerk, vor allem das mit dem Kunsthandwerk scheint wichtig zu sein. „Wir waren letztens auf einem Weihnachtsmarkt, da war es richtig schön, die hatten da ganz viel Kunsthandwerk“, sagen die Menschen begeistert, und man sieht sie vor seinem geistigen Auge an lauter Holzständen mit Holzprodukten vorbeiziehen, rauen Schemeln vielleicht oder naturbelassenen Putten, aus Eichenrinde geschnitzt. Dazu offenes Feuer, ausgehend von breiten Scheiten in metallenen Schalen, die an ausladende Feierlichkeiten in mittelalterlichen Burgen erinnern.

Unheilige Verbindung

Da scheint es eh irgendwie eine unheilige Verbindung zu geben, die Anzahl der mittelalterlichen Weihnachtsmärkte steigt jährlich, ich habe da jetzt nicht nachgezählt, aber es kommt mir so vor. Die Zielgruppen weisen auch ganz offenbar signifikante Überschneidungen auf. Leute, die gerne in geschnürten Leinengewändern Veilchenseife kaufen oder verkaufen und dabei Sätze sagen wie „Seht was euch wohlfeilgeboten wird, lauschet den fremdartigen Klängen und knausert auch nicht mit dem einen oder anderen Taler, so euch der Gegenwert recht erscheint“, ohne dass sie jetzt Martin Luther wären oder so, haben offensichtlich auch ein Faible für Weihnachtsmärkte. Und was läge da näher als der Mittelalter-Weihnachtsmarkt. Ein Schaffell übers Leinengewand gezogen, aus den Fellflusen mit groben Stichen Hausschuhe genäht, und schon kann’s losgehen.

Glühender Wein

Das mit dem Kunsthandwerk hat sich mir nie so recht erschlossen, ich bin immer davon ausgegangen, dass die Leute auf den Weihnachtsmarkt gehen, um sich dort ausnahmsweise mal mit Glühwein statt wie sonst immer mit Bier einen anzuzwitschern. Das ist auch völlig in Ordnung, das kann man ohne Scheu aussprechen, ist doch nix dabei. Ich meine, was sonst sollte man für einen Zweck damit verfolgen, tassenweise heißen Rotwein runterzustürzen, das Stürzen deshalb, weil er ja so schnell kalt wird und dann nicht mehr schmeckt. Hihi. Weil er dann nicht mehr schmeckt … als ob er das im heißen Zustand getan hätte. Aber es ist eine gute Ausrede, runter damit, „schnell, er wird schon ganz eklig und pappig“, und außerdem dampft die nächste Runde schon auf dem Tisch.

Mit Nelke drin

„Es gibt aber doch auch so richtig guten Glühwein, so Winzer-Glühwein, der ist richtig lecker, den musst du mal probieren, die machen den noch selbst!“ Hab‘ ich doch, hab’ ich alles probiert, roten, weißen, aus großen Gewächsen und kleinen Lagen und einmal sogar Dornfelder-Winzerglühwein im 0,5-Liter-Dubbeglas mit einer Nelke drin. Und ich muss sagen: Sie schmecken alle irgendwie auch nicht sehr viel besser als der aromatisierte Chateau Latrine aus dem Tetrapack. Es ist halt Glühwein. Den trinkt man nicht des Genusses wegen. Eher aus Gründen der Symbolik.

Ehrlich und stilvoll

Weshalb ich es auch sehr begrüßte, als ich neulich von einem Plakat zu einem „Glühweinfest“ eingeladen wurde. Kein Weihnachtsmarkt, kein „Vorweihnachtlicher Lichterglanz“, kein Mittelalterlich Advent Spectaculum, nein, ein „Glühweinfest“, da wusste man doch gleich, was einen erwartet, das hatte Stil. Mir wurde weihnachtlich. Und nach dem „Glühweinfest“ findet man am nächsten Morgen auch keinen im Dornfelderrausch für 20 Euro gekauften kreischgrünen Häkelschal in der Küche vor. Höchstens mal eine pappige Weihnachtstasse in der Jackentasche.


Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten. Die Kolumne Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen.

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