Kolumnen Kolumne: Der Kommunismus der kleinen Dinge

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Meine Mutter gibt mir ein paar Sachen mit. Da ich keine Tasche dabei habe, greift sie in den Einkaufskorb, in dem sie einige der Einkaufs-Baumwollbeutel hat. Und sie erwischt den vom Edelka, den ich ihr vor Monaten einmal samt Einkauf überlassen hatte. Und schon sind wir wieder mitten in einem Spiel, dem wir alle ausgeliefert sind. Das Wandern der Dinge, die sicht- und anfassbar sind und uns verbinden, weil sie zwischen uns Menschen hin- und herspringen. Oder haben Sie alle Schirme, Einkaufswagenmünzen, Feuerzeuge, Kugelschreiber – außer dem Montsblanc -, Baumwollbeutel und Tubbserschüsseln und Haarspangen, Handtücher und Templotaschentücherpackungen, die zuhause zu finden sind (aber nur, wenn man sie nicht sucht), selbst gekauft oder geschenkt bekommen? Nee, ne.

So sehr sind wir auf Mein und Dein fixiert. Mein Schlüssel, meine Stadt, mein Sofa. Und doch gibt es Gegenstände, die sich über dieses Besitzerles ganz einfach hinwegsetzen. Vielmehr sind es Nomaden. Wer hat beim Einkaufen nicht schon plötzlich eine Tasche dabei gehabt, die er gar nicht kennt. Schnell danach gegriffen und dann ungläubig in den Wagen geschaut: Ist das wirklich meiner? Ja, im Schloss steckt ja mein grüner Plastikchip anstelle des Euros, der die Übergabe mit einem möglichen Interessenten für den Wagen unmöglich macht. Den Wildfremden, der einem einen Euro hinstreckt, kennt jeder. Der dann aber mit einem kurzen Kopfschütteln schnell abgeschüttelt wird. „Nee, hab‘ kein Geld drin!“ 

Die Einkaufswagen-Chips gehen ihren eigenen Weg

Die Chips kommen einem nicht so schnell abhanden wie die Beutel. Aber auch sie gehören zu den Dingen, die eigene Wege gehen. Sie verschwinden in Taschenschluchten und rutschen im Auto mal neben das Fach, in dem sie eigentlich immer zu finden sind. Dann macht es beim Autosaugen eben irgendwann klack. Und schon isser weg, der Chip. Aber es kommen ja auch wieder neue von alleine zu uns. 

Die Dose, die man gerade sucht, ist sowieso nie zuhause

Ganz anders läuft die Geschichte mit den Beuteln und den Tubbserschüsseln. Was für ein Theater! Und die Dose, die man gerade sucht, ist sowieso nie zuhause, sondern gerade bei der Mutter, Tochter, Schwägerin, dem Bruder, den Nachbarn oder Freunden? Hast du noch meine längliche, blaue Kuchenkiste? Gute Frage, ich mache mich mal auf die Suche! Und, Mama, den Edelka-Beutel von letzter Woche bringe ich Dir morgen auch wieder mit. Oder warte, mal, hat den gestern nicht Andrea mitgenommen … Wer geht im Kommunismus der kleinen Dinge nicht gnadenlos unter? 


Die Autorin

Christine Kamm (53) aus Ludwigshafen arbeitet seit 2012 im Sportressort der RHEINPFALZ.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags.

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