Kolumnen Kolumne: Amüsieren wir uns zu Tode?

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Amüsieren wir uns zu Tode? Der Mensch, der privat auf immer schickeren Stühlen sitzt, auf immer bequemeren Sofas liegt und auf immer schlaueren Kaffeemaschinen rumdrückt, damit eine perfekte Crema seinen Espresso verziert, lässt sich doch gleichzeitig auf eine ganze Reihe von Unbequemlichkeiten ein, wenn es darum geht: dabei zu sein. Der Vergnügungs-Feierabend-Tourismus in der Pfalz boomt.

Wir amüsieren uns zu Tode. Das hat Neil Postman in seinem so betitelten Buch 1985 schon postuliert. Der amerikanische Medienwissenschaftler hatte festgestellt, dass sich der moderne, den Medien ausgesetzte Mensch (ja, ich greife mir nun an die eigene Nase), verändert. Vor über 20 Jahren schon stellte der 2003 verstorbene Autor fest, dass wir uns nicht mehr daran erinnern, was ein Politiker sagt, sondern wie er aussieht. Die blonde Tolle aus dem Wilden Westen und der halbnackte Großwild-Jäger Wladimir Putin aus dem grauen Osten lassen grüßen.

Alle drängen sich genervt auf den Events, nur um später zu sagen wie nice es war

In einer der schönen Weinstuben in der Pfalz ewig auf den Riesling, Grauburgunder oder Dornfelder warten? Die Geduld verlieren, zum nächsten Winzer ziehen? Und dort geht es gerade so weiter? Fürs Essen anstehen? Und dann noch nicht mal ein Steh-Tisch, sondern Gefahr laufen, so angerempelt zu werden, dass die Teller samt Saumagen und Dampfnudel im Matsch landen? Nee, das möchten wir nicht! Im Kino auf unbequemen Plastikstühlen sitzen und beim Filmgenuss das störende Surren eines Gebläses im Ohr? Nee, geht gar nicht! Hey, ich will mein Geld zurück! Von wegen. Das alles und noch viel mehr machen die Menschen mit. Und erzählen hinterher auch durch die Bank noch wie supercool und nice es war.

Die Feierbiester pilgern das Dürkheimer Kapellchen hoch

Die Weinbergnacht in Bad Dürkheim und das Filmfestival in Ludwigshafen ziehen die Massen an. Das eine geht über zwei Tage, freitags und samstags noch vor der Dämmerung pilgern sie plötzlich zum Kapellchen über dem Wurstmarktplatz hoch, die fröhlichen Feierbiester. Ihr bezahltes Gläschen Wein in der Hand – und ab auf die vielen schmalen Wege zwischen den Reben. Zum Schieben, Schwanken, Stehenbleiben. Und das bei schöner bunter Laserbestrahlung, die von weitem schön ist, an den frischen Abenden aber einfach nur blendet.

In keinem Wartesaal beim Arzt würde toleriert, was beim Festival voll geil ist

Das andere geht über Wochen, und das im Ludwigshafener Landschaftsschutzgebiet „Stadtpark“. An jedem Kartenschalter eines Bahnhofs, an jeder Wursttheke eines Supermarktes, in jeder Arztpraxis im Wartesaal würde wenig bis gar nicht toleriert, was an den beiden Abenden im Wingert und im überfüllten Festival-Zelt voll geil ist. Aber gut, bei der größten Open-Air-Weinprobe der Pfalz und der bundesweit so beachteten Nabelschau des deutschen Films, da muss man eben dabei sein. Das Einzugsgebiet? Es erstreckt sich bei beiden Veranstaltungen längst bis HP, MA, HD, KA, MZ. Von immer weiter her kommt die Neugierigenschar. Alla hopp. Brot und Spiele hat es schon immer gegeben. Alles muss sich ständig neu erfinden. Und bringt dann mit sich, was Neil Postman so formulierte: Das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.

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