Rheinpfalz Kandel: Die Schaubühne

Anti-AfD-Plakat auf der Gegendemonstration. Vorweg die Polizei, danach die Demo „Wir sind Kandel“.
Anti-AfD-Plakat auf der Gegendemonstration. Vorweg die Polizei, danach die Demo »Wir sind Kandel«.

In Kandel versuchen rechte Gruppierungen von außen, die Spaltung der Gesellschaft zu inszenieren. Derweil wollen die Kandeler vor allem die Deutungshoheit über ihre Stadt zurück. Beobachtungen vor Demo-Beginn.

Der Ort, an dem die Spaltung der Gesellschaft inszeniert wird, wirkt, als habe er von seinem Ruf noch nichts mitbekommen. Es liegt die träge Ruhe eines Vorfrühlingstags in der Südpfalz über dem Kandeler Marktplatz, Samstag gegen 11 Uhr, zwei Frauen mit Einkaufskörben streben Richtung Bäckerei. Dort hat das Fernsehen dem Vernehmen nach übrigens um eine Drehgenehmigung nachgesucht: Praktisch, so kann man die vermeintliche Spaltung der Gesellschaft dokumentieren und dabei ein Plunderstückchen verzehren. Das ist hier schließlich die Hauptstadt der Bewegung, glaubt man jedenfalls der internationalen Presse. „Mein Schwager lebt in Amerika“, sagt Guido Pausch, der um die Ecke eine Buchhandlung betreibt und Vorsitzender des örtlichen Gewerbevereins ist, „da wird in den Zeitungen so getan, als wäre Kandel ein Nazi-Kaff.“ Pausch, Typus netter, kommunikativer Südpfälzer, liefert noch das Stichwort des Tages: „Das ist ein Schauspiel, das eine kleine Stadt wie Kandel auf Dauer nicht verkraftet.“

Inszenierung gesellschaftlicher Verwerfungen

„Schauspiel“ ist der wohl treffende Begriff für das, was an diesem Samstag in eine neue Runde geht: Die Initiative „Kandel ist überall“, Kritiker der Flüchtlingspolitik mit mutmaßlich rechten und rechtsextremen Beimengungen, hat zur erneuten Großdemonstration in der 9000-Seelen-Gemeinde aufgerufen – angelehnt an die Tötung der 15-jährigen Kandelerin Mia durch ihren afghanischen Ex-Freund Ende 2017. Die Initiative „Wir sind Kandel“ bittet, unterstützt von einem breiten Bündnis aus Politik, Kirche und Gewerkschaften, zur Gegendemonstration, dazu kommt wohl noch die Antifa. Es ist gleichsam die Inszenierung gesellschaftlicher Verwerfungen, die hier stattfindet, vor Fachwerk und Blumenkübeln mit ersten Osterglocken – und glaubt man dem jungen Mann mit „Wir sind Kandel“-Button, der gerade mitgeholfen hat, an einem der Bäume am Rande des Kandeler Marktplatzes ein Transparent anzubringen („Sexistische Kackscheiße“), dann hat die Inszenierung in Kandel am 2. Januar eingesetzt. „Der Tag war ganz entscheidend“, sagt der junge Mann, Selbstbeschreibung: „einfacher Kandeler Bürger – und die Schnauze voll“. Am jenem 2. Januar hat sich nämlich ein Schweigemarsch für die getötete Mia in Kandel formiert. An jenem 2. Januar haben „die Kandeler gedacht“, sie würden „an einem richtigen Schweigemarsch“ teilnehmen, sagt Pausch. An jenem 2. Januar haben die Kandeler gemerkt, dass der Schweigemarsch vom rechten politischen Spektrum organisiert worden war, in den sozialen Medien – und am Ende haben sich die Kandeler in einem unübersichtlichen Gerangel mit Ortsfremden wiedergefunden.

Kandeler wollen Deutungshoheit zurück

Es ist der klassische propagandistische Dreisprung aus „Besetzen – Instrumentalisieren – Spalten“, den die rechten Gruppierungen da vollzogen haben und in Kandel hat man wohl einige Zeit gebraucht, um sich darauf einzustellen. „Das hat uns alle überrollt“, sagt Jutta Wegmann, Sprecherin von „Wir sind Kandel“, „am Anfang waren wir in Schockstarre ob des Verbrechens“. Bei der jüngsten Demo, am 3. März, haben um die 4000 Demonstranten aus ganz Deutschland behauptet, Kandel sei überall und nur einige 100 dagegengehalten – und so leicht will man sich an diesem Samstag beim Kampf um Deutungshoheiten nicht mehr geschlagen geben. Der warum, von allen Orten der Welt, zurzeit ausgerechnet in Kandel stattfindet? „Die versprechen sich in der Provinz mehr Aufmerksamkeit“, meint Wegmann. Buchhändler Pausch ist direkter: „Eine Demo mit 4000 Teilnehmern in Berlin – das interessiert kein Schwein“, sagt Pausch. In Kandel linst vielleicht das Fernsehen aus der Bäckerei, steht der Zeitungsreporter auf dem Marktplatz, kommen Ministerpräsidentin und Staatssekretär – und alle wissen natürlich, damit auch Teil jener Inszenierung zu sein, die nur funktioniert, weil alle mitmachen. „Haben wir am Anfang auch so empfunden“, hält Wegmann dagegen, „für uns ist es aber inzwischen aber einfach ein stückweit Notwehr.“ Man will die Deutungshoheit zurück, in Kandel: die über seine Stadt, die über das schreckliche Geschehen Ende 2017, letztlich die über sein eigenes Leben. Und man will nicht länger Inszenierungsort für den forcierten gesellschaftlichen Bruch sein: Ist Kandel, wie derzeit oft zu lesen, ein zerrissener Ort? „Nein“, sagen unisono die jungen Leute, die auf dem Marktplatz Plakate hängen. „Wir sind eine Gemeinschaft“, sagt Pausch, „das soziale Gefüge ist intakt.“ „Im Moment formiert sich sehr viel Einigkeit“, sagt Wegmann. Ganz am Ende noch ein Gespräch mit einem jungen Mann auf dem Fahrrad. Das Asylrecht, meint der junge Mann, sei ein „hohes Gut“, dessen Missbrauch allerdings müsse man abbauen. „Es ist momentan nicht einfach, das zu sagen“, sagt der junge Mann, nach eigenen Worten „um Objektivität bemüht“. Wird er mitdemonstrieren? „Nein“, sagt der junge Mann. Wir gehen jetzt. Kollege übernimmt.

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