Rheinpfalz Kandel: Der Bürger als Demonstrant

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Spott: Anti-AfD-Plakat auf der Gegendemonstration.

Die Südpfalz traf sich am Samstag in Kandel. Und hatte eine Botschaft: Wir schweigen nicht länger. Von Rolf Gauweiler

Bevor sich der brave Bürger in einen Demonstranten verwandelt, löst er eine Bahnfahrkarte. So tun es auch die Leute, die sich am Samstag um 12 Uhr mittags am Landauer Bahnhof treffen. Der Einzelfahrschein nach Kandel kostet dreifuffzich. Kandel. Zielort so vieler an einem Vorfrühlingstag, der eigentlich wie geschaffen ist für das Faulenzen im Freien. „Garten wäre notwendiger“, weiß auch Udo Lichtenthäler, Grünenpolitiker aus Landau. „Aber das heute ist Pflicht.“ So sehen es die meisten, die den Regionalzug in Richtung Bienwald besteigen. Sie wurmt, dass Rechtsextreme die Stadt Kandel als ihr persönliches Reichsparteitagsgelände ansehen, in dem sie brüllend herumstiefeln. Vor nur drei Wochen standen etwa 400 Unverzagte 4000 Kritikern der Flüchtlingspolitik gegenüber – darunter Rechtsextreme. Noch mal soll eine solche Schmach nicht passieren.

 „Wir sind die Anderen“

„Wir sind die Anderen“, sagt Eckhard Keuchel. Mit 70 Jahren ist einer der Ältesten in der Reisegruppe, in der viele junge Leute zu sehen sind. Die Kandeler hätten sein Engagement verdient, meint er. „Wir wollen den Rechten nicht den Platz überlassen“, ergänzt Moritz Haas, 18, Sprecher der Grünen Jugend an der Südlichen Weinstraße. Drastisch drückt sich der 80-jährige Hubert Lehmann aus, als er gefragt wird, warum er nach Kandel fährt. „Weil ich diese Sauerei nicht mehr ertragen kann“, sagt er – übrigens ein Christdemokrat. In Kandel demonstriert die ganz große GroKo. Er wünsche sich, dass ein buntes und demokratisches Bündnis aus der Mitte der Gesellschaft entstehe, sagt Alexander Schweitzer, der Chef der SPD-Landtagsfraktion, als er auf dem Bahnhofsvorplatz in Kandel eintrifft. Ein alter Parteifreund Schweitzers muss viele Hände schütteln: Kurt Beck ist im Kampfmodus nach Kandel gekommen und sagt, was er denkt. „Es ist allerhöchste Zeit, dass wir in Deutschland Flagge zeigen und diesem Nazi-Spuk entgegentreten“, meint der frühere Ministerpräsident.

Die Parolen sind nachdenklich bis witzig

Auf dem Platz hat sich mittlerweile ein buntes Durcheinander ergeben. Manche haben selbstgebastelte Transparente dabei, die Parolen sind nachdenklich bis witzig. „Wir wollen keinen Hass und Fanatismus. Nicht in unserer Stadt! Nicht in unserem Land!“, hat eine ältere Dame in krakeliger Schrift geschrieben. Ein anderer erinnert an den Migrationshintergrund eines deutschen Grundnahrungsmittels: „Die Kartoffel gehört nicht zu Deutschland. Nazis: Esst Steckrüben!“ Viele Lacher erntet ein junger Mann für seinen Spruch: „Wenn die AfD die Antwort ist – wie dumm war dann die Frage?“ Still steht Helmut Dudenhöffer in der Menge. Der Herxheimer hat sich in seinem Ort für Geflüchtete eingesetzt, ihnen beim Gang auf die Ämter geholfen, eine Unterkunft verschafft. Er dachte mal, der Hass und die Hetze würden irgendwann verschwinden, „aber es läuft sich scheinbar doch nicht tot“, sagt er traurig. Auf Dudenhöffers Schreibtisch steht ein Spruch des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan: Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit.

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