Rheinpfalz Immerhin ein Anfang

„Die sind laut, aber wir sind mehr“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer gestern zum Gebrüll der Gegendemonstranten.
»Die sind laut, aber wir sind mehr«, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer gestern zum Gebrüll der Gegendemonstranten.

Die machtvolle Kundgebung am Samstag trägt dazu bei, Kandel vom Hass zu befreien. Spät ist das Bürgertum aufgewacht. Doch Exorzismus reicht nicht. Das Böse ist auch unter uns. Ein Kommentar von Rolf Gauweiler

Der 24. März 2018 könnte als der Tag in die Regionalgeschichte eingehen, an dem eine kleine südpfälzische Stadt begann, sich zu befreien. Kandel leidet unter einem zweifachen Albtraum: als Ort zu gelten, in dem Hetze und Hass gedeiht, und eine Gemeinde zu sein, die fremdbestimmt wird, nicht mehr Herrin ihrer Geschicke ist. Das Widerwärtigste an der Dauerinvasion der Rechten in Kandel ist, dass ihnen der fürchterliche Tod der jungen Mia völlig egal ist. Das Mädchen war für die AfD und ihre rechtsradikalen Spießgesellen die Benutzeroberfläche für die Gewaltfantasien, die zu einem ethnisch reinen Staat führen sollen, mehr nicht. Die Kandeler, die ehrliches Mitleid für Mia und ihre Familie empfinden, wurden als Kulisse benutzt. Möglich war diese Schieflage in der Außenwirkung auch, weil ein sattes Bürgertum glaubte, sich in den Sesseln zurücklehnen und den Dingen ihren Lauf lassen zu können. Wir haben doch einen Rechtsstaat und die Polizei, da müssen wir uns nicht einmischen, so die Haltung vieler. Doch die Zeiten, sie sind nicht so. Gestern nun hat die bürgerliche Mitte endlich begriffen, dass sie sich artikulieren muss. Dass sie Trägheit durch Teilnahme ersetzen, rausgehen, sich zeigen, den rechten Chaoten das vor Augen führen muss, was Malu Dreyer bei dem Gebrüll der Gegendemonstranten so wunderbar formulierte: „Die sind laut, aber wir sind mehr.“ Gestern stimmte das. Den 1000 Rechten standen 1600 Demokraten gegenüber. Doch der Exorzismus, den Kandel gestern vollzog, darf nicht zur Blauäugigkeit verführen. Der Hass, die Hetze, die Fremdenfeindlichkeit und das Verächtlichmachen unserer Gesellschaftsordnung kommen auch in dem gesegneten Landstrich namens Pfalz nicht nur als Invasion von außen, als Einmarsch von Identitären und Neonazis in ein Land des Lächelns. Das Böse ist unter uns. Es ist im netten Nachbarn im Viertel, im freundlichen Tischgenossen in der Weinstube, im verbindlichen Kollegen am Arbeitsplatz. Der Hetze im Alltag konsequent zu begegnen, bedarf einer Courage, die über das gute Gefühl hinausgeht, das gestern so viele Pfälzer auf dem Bahnhofsvorplatz in Kandel beseelte.

x