Ludwigshafen Das Parfüm zur Platte

Die geldgierige Fratze des Musikgeschäfts entlarvt David Julian Kirchner, indem er die aggressive Werbestrategie rund um sein De
Die geldgierige Fratze des Musikgeschäfts entlarvt David Julian Kirchner, indem er die aggressive Werbestrategie rund um sein Debütalbum ausstellt – bierernst ist das aber nicht gemeint.

Kirchner Hochtief. Noch nie gehört? Das wird sich ändern. Im „Port 25 – Raum für Gegenwartskunst“ in Mannheim ist jetzt nämlich gerade eine Ausstellung, begleitend zum Debütalbum der Band, eröffnet worden. Die Präsentation kommt allerdings mit einem Augenzwinkern daher.

Die Beatles gründeten in ihrer Spätphase den Apple-Konzern, der anfangs nicht nur Popmusik vermarktete, die Trennung der Band überdauerte und sich schließlich sogar mit dem gleichnamigen iPod-Hersteller über den Markennamen und das Apfel-Logo vor Gericht stritt. Die Rolling Stones folgten dem Beispiel der Beatles, gründeten ebenfalls ein eigenes Plattenlabel und kauften Andy Warhol das Logo mit der herausgestreckten Zunge ab, das zum Markenzeichen der Band und ihrer Produkte wurde. Ist eine Band erst einmal so berühmt und finanzkräftig geworden, dass der massenhafte Absatz bei den Fans garantiert ist, macht sie sich von den Plattenfirmen unabhängig, wird zum Selbstvermarkter und streicht den satten Reingewinn ein. David Julian Kirchner ist weder berühmt noch vielfacher Millionär, aber er hat eine Band namens Kirchner Hochtief, mit der er soeben die erste Platte aufgenommen hat. Sie heißt „Evakuiert das Ich-Gebäude“, aber David Kirchner fängt mit seiner Band da an, wo andere erst nach einer langen Durststrecke ankommen, nach der bitteren Erfahrung, von den Plattenfirmen ausgequetscht worden zu sein wie eine Zitrone. Schon das Debütalbum von Kirchner Hochtief wird begleitet von einer aggressiven Werbestrategie und einer Vielzahl weiterer Produkte, die sich im Schlepptau der noch weitgehend unbekannten Band und ihrer Platte bewegen. Es gibt, begleitend zur Platte, – kein Witz! – sogar ein Parfüm, das sich „Dawid“ nennt. Und wie dereinst die Pilzköpfe würde David Kirchner die Frisurenmode am liebsten auch noch beeinflussen. Bierernst gemeint ist das fiktive Pop-Imperium des Musikers, der zugleich Betriebswirt, sein eigener Coach, Designer, Manager und Business-Planer ist, selbstverständlich nicht, auch wenn es sogar Gin Tonic in Dosen für den beinharten Kirchner-Fan gibt. Eher zieht seine Ausstellung der leichten, oft auch seichten Unterhaltungsindustrie die stets freundlich lächelnde Maske vom Gesicht und macht die geldgierige Fratze darunter sichtbar. Der Port 25 hat ihm die Möglichkeit eingeräumt, seine Visualisierung eines Popalbums in dem 500 Quadratmeter großen Raum der Öffentlichkeit vorzustellen, weil die Kunstgalerie sich seit ihrer ersten Ausstellung „Schönheit des Alltäglichen“ vor vier Jahren als Mittlerin zwischen bildender Kunst und Kreativwirtschaft versteht. „Ich fand das Video ganz toll“, sagt Stefanie Kleinsorge, die Leiterin der Galerie, über die Präsentation, mit der David Kirchner sich bei ihr vorgestellt hat. In der Tat, den Besucher erwartet eine überwältigende Fülle, vermutlich die komplette Bandbreite von Vermarktungstechniken. Selbstverständlich gehören dazu Videos, zu jedem der elf Songs auf dem Album „Evakuiert das Ich-Gebäude“ einen, außerdem zu jedem Song einen Siebdruck, der auch als wandgroßes Poster erhältlich ist. Die Songs tragen Titel wie „28 Grad“ oder „Tritt ins Genick“. Mit den Songtexten sind weiße Schuhe bedruckt, und an zehn Kopfhörern kann man in das Album schon einmal vor dessen Erscheinen hineinhören. Die Platte soll am 20. September von dem Berliner Label Staatsakt auf den Markt gebracht werden. Jetzt schon kann man im Port 25 ein Exemplar erstehen, das auf das gute alte Vinyl gepresst ist. Die Cover der im Port 25 vorrätigen 300 Exemplare sind Unikate mit Motiven, wie sie auch auf den Siebdrucken zu sehen sind. Aber selbstverständlich wird auch die gesamte Internet-Gemeinde auf allen Kanälen mit dem Album, seinen Songs und der Werbung beschallt. Der Sänger und Multiinstrumentalist David Kirchner, 1982 in Mainz geboren, lebt seit zehn Jahren in Mannheim, wo er an der Popakademie das Fach Popmusikdesign studiert hat. Vermarktung und Konsum von Popmusik steht er äußerst distanziert gegenüber. Seine Ausstellung sieht er als Akt der „Subversion und Rebellion“. Ob er glaubt, dass ganz Mannheim demnächst in einen Kirchner-Hochtief-Kaufrausch versetzt wird? „Ja“, antwortet er mit ernster Miene. „Aber nur Mannheim, das wäre ein bisschen wenig.“ Termine Bis 22. September im „Port 25 – Raum für Gegenwartskunst“ in Mannheim (Hafenstraße 25). Geöffnet Mittwoch bis Sonntag 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

x