Rheinpfalz Dampfwalzen und Mimosen

Was man isst, wie man sich fortbewegt, welche Beziehung man führt – ständig muss man sich rechtfertigen. Oder gibt selbst seinen Senf dazu, statt gelassen zu bleiben. Warum nur?

Als die Römer die Stadt Syrakus einnahmen, soll ein Legionär auf den sinnenden Erfinder Archimedes gestoßen sein, der den beutesuchenden Eindringling geistesabwesend mahnte, nicht seine in den Sand gemalten Kreise zu stören. Der Satz erboste den Römer, der den Denker erschlug.

Unterschiedliche Meinungen

Obgleich weniger gewaltvoll, greift heute derselbe Abwehrmechanismus, sobald jemand kundtut, wie er sein Leben zu führen gedenkt – und wie nicht. Banales Beispiel: „Ich bin Veganer.“ Reaktion: „Ich esse trotzdem weiter Fleisch!“ Oder: „Ich fahre mit Bahn und Rad.“ Entgegnung: „Ich lasse mir das Autofahren nicht verbieten!“ Oder: „Ich will keine Kinder.“ Kommentar: „Du verleugnest deine biologische Bestimmung!“ Dabei geht es doch auch gelassener, kompromissbereiter, interessierter. Der andere wird vermutlich gute Gründe haben. Sie zu erfahren, könnte den Blick weiten. Eine abweichende Meinung ist nicht gleich als Attacke mit der Dampfwalze aufs eigene Weltbild gemeint, eine andere Einstellung heißt nicht, dass mein Gegenüber alles infrage stellt, was mich ausmacht, wofür ich stehe.

Zur Rechtfertigungshaltung herausgefordert gefühlt

Klar, wer sich lieber auf dem Sofa lümmelt, scheut den nachbarlichen Vortrag über das Marathontraining. Das war schon immer so. Mittlerweile jedoch wird dem Sportfanatiker von nebenan unterstellt, dass er von seiner gefühlt moralisch höheren Warte aus nichts anders als Umerziehung im Sinn hat. Jeder überzeugte Radler will angeblich alle Autos verbieten. Jeder Vegetarier hasst die Karnivoren. Jeder Kirchgänger will Heiden bekehren. Zu was man sich auch bekennt, was man auch ablehnt – stets fühlt sich jemand herausgefordert zu einer Rechtfertigungshaltung, die sehr schnell ganz grundsätzlich werden kann. Der allgemeinverbindliche Gültigkeitsanspruch, mit der Standpunkte inzwischen vertreten werden, bis hin zum Abbruch jeder diplomatischen Beziehung, ist erschreckend. Und wehe, einer pflichtet nicht bei. Offenbar wächst eine Menge Mimosen heran, die es nicht mehr erträgt, dass andere eben anders sind, anders denken, fühlen, handeln, lieben, essen, was auch immer. Leben und leben lassen, hieß es mal. War keine schlechte Idee.