Rheinland-Pfalz Da fehlt doch was

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Illustration: Hermann

In der Pfalz wird der „Schrank“ häufig zum „Schank“, und dahinter verbirgt sich viel mehr als die übliche regionale Sprachschluderei. Ein Einblick in die „Saach blooß“-Werkstatt.

Sprache ist etwas sehr Individuelles, vielleicht fast so individuell wie ein Fingerabdruck. Jeder Mensch spricht anders und hebt sich anhand seiner Aussprache, seines Sprachrhythmus, seiner Intonation, seiner Wortwahl und auch seiner Sprachfehler von anderen Menschen ab. Es gibt außerdem Wörter, Redensarten oder Abwandlungen davon, die zwar von mehreren Menschen, aber nur innerhalb einer Familie oder einer kleinen Gruppe von Personen verwendet werden. Warum erzählen wir das? Nicht alle Vorschläge von Leserinnen und Lesern, dieses Wort oder jene Wendung in unserer Dialektserie pfalzweit zur Debatte zu stellen, versprechen Erfolg. Manchmal ist das, was uns als vermeintlich pfälzisches Phänomen erreicht, eine so individuelle Eigenheit, dass kaum jemand etwas damit anzufangen wüsste.

Überraschungserfolg nach "Debbich"

Manchmal wiederum wirken Vorschläge, die bei uns eingehen, auf den ersten Blick derart unspektakulär, dass wir sie aus diesem Grund erst einmal zur Seite legen. Dazu zählte das Wort „Debbich“, das uns über die Jahre hinweg immer wieder mal angetragen wurde. Was, bitteschön, sollte daran originell sein? Fast alles, wie sich herausstellte, als wir auf die Leser hörten. Dass viele Pfälzer „Debbich“ sagen, wenn sie „Decke“ meinen („Wann’s kalt werd, nemm ich en Debbich mit ins Bett“) ist eine der witzigsten und verwirrungsträchtigsten Absonderlichkeiten des Pfälzer Dialekts (nachzulesen im dritten Band der „Saach blooß“-Buchreihe). An diesen Beispiel wird deutlich: Es ist nicht immer einfach, für diese Serie die Spreu vom Weizen zu trennen – und hin und wieder liegen wir voll daneben. Das Wort „Schrank“, das wir auch erst nach jahrelangem Zögern in der jüngsten Folge zur Diskussion freigegeben haben, hat sich wie der „Debbich“ als Überraschungserfolg erwiesen. Die Variante „Schank“ (ohne „r“), nach der wir gefragt haben, ist nämlich keine individuelle Familienvariante, wie wir vermutet hatten. Und sie ist auch kein Sprachfehler. Der „Schank“ ist jedenfalls pfalzweit präsent: Gertrud Schmitt, die in Kaiserslautern wohnt, kennt den „Schank“ aus dem Raum Pirmasens, wo sie aufgewachsen ist. Marianne Reisner aus Mutterstadt erinnert sich daran, dass ihre Nordpfälzer Großeltern „e Miggeschänkelsche“ hatten – einen Vorratsschrank mit Drahtfenstern also. Walter Sattel aus Maxdorf berichtet, „Schank“, „G’schärrschank“ odder „Kicheschank“ seien dort derart geläufig, dass diese Versionen sogar Eingang ins „Maxdorfer Dialektwörterbuch“ gefunden haben, das 2019 erscheinen wird. Karin Reck hat den „Schank“ in Hauenstein entdeckt, Günter Steck in Speyer , Annemarie Peschke in Ixheim  bei Zweibrücken, Erich Hoffmann in Neupotz, Joachim Clemens aus Neustadt in St. Ingbert (dort gibt es auch das „Schankebabbier“, das einst in den Regalen ausgelegt wurde), Pia Landes in Wörth, Doris Rittmann aus Birkenheide und Albert Arndt aus Rockenhausen in Winnweiler, Rockenhausen, Stahlberg, Biesterschied,Dörnbach und Dörrmoschel. „Bub, mach die Schankdier schee zu, sunnscht kannsche der dei Kopp oostoße“, lautet ein typisch nordpfälzisches Beispiel.

Sprachfehler oder Phänomen?

Nun kann man durchaus die Frage stellen: Ist der Wegfall eines „r“ in einem Wort wirklich ein interessantes Phänomen – oder ist es nicht einfach ein Sprachfehler wie die „Gechichte“, von der zum Beispiel der verstorbene Bundeskanzler Helmut Kohl einst sprach? Wohl kaum. Anders, als von uns vermutet, ist „Schank“ auch kein Beispiel für die pfälzisch-faulenzerische Abschleifung von Lauten (wie bei „Wälsche“ statt „Wägelchen“). Der „Schrank“ und der „Schank“ sorgen auch hier wieder für eine Überraschung. Anders auch als bei „Pfarrer“ und „Parre“ oder „Pferd“ und „Perd“, bei denen das Pfälzische einfach die hochdeutsche Lautveränderung von „p“ zu „pf“ nicht mitgemacht hat , sind sowohl „Schrank“ als auch „Schank“ schon im Mittelhochdeutschen (gesprochen etwa zwischen 1050 und 1350) als eigenständige Varianten für das selbe Wort verbreitet gewesen: für ein Gestell oder ein Gitterwerk, wie Reinhard Hartmann aus Kaiserslautern schreibt (moderne Schränke gab es damals noch nicht). Zwei uralte Versionen ein und desselben Begriffs haben sich nebeneinander bis in die Neuzeit erhalten – ein, wie es scheint, sprachlich ziemlich spektakulärer Einzelfall. Soll heißen: Sie haben ja recht, liebe Leserinnen und Leser: Wir sollten öfter mal früher auf Sie hören ... In der nächsten Folge wollen wir aber erst einmal ein wenig verreisen, und zwar ins „Gäu“. Wir wollen wissen: Wo liegt das „Gäu“? Sie ahnen es schon: Es gibt mehrere Antworten auf diese Frage. Wir freuen uns heute schon auf all Ihre Anwendungsbeispiele und Erklärungen!

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