Sport Anstieg der Judenfeindlichkeit auf Sportplätzen

Fans sagen beim Spiel Fortuna Düsseldorf gegen RB Leipzig klar, was sie von Hass gegen Juden halten.
Fans sagen beim Spiel Fortuna Düsseldorf gegen RB Leipzig klar, was sie von Hass gegen Juden halten.

Der Sport kann viel für die Integration leisten, mitunter macht er aber auch Probleme zwischen Bevölkerungsgruppen erst richtig sichtbar. So ist die Judenfeindlichkeit auf den Sportplätzen angestiegen. Manchmal brauchen Athleten mit Davidstern sogar Polizeischutz.

Ein Kapitän der B-Jugend-Mannschaft aus Frankfurt wollte einfach nur das tun, was auf Fußballplätzen der ganzen Welt gang und gäbe ist: nach dem Spielende seinem gegnerischen Kollegen die Hand schütteln und sich für ein spannendes Match bedanken. Doch dann musste er hören, wie der Anführer der Anderen von einem Mitspieler ins Ohr geflüstert bekam: „Gib dem keine Hand, das ist ein Scheiß-Jude.“ Der Schock war groß. Vielleicht war das Gegentor kurz vor Abpfiff zu viel für den jungen Mann. Max Eilingsfeld kennt solche und ähnliche Sprüche. Der 28-Jährige ist seit November 2018 festangestellter Jugendleiter beim Turn- und Sportverein Makkabi Frankfurt. Er kam mit elf Jahren über Schulfreunde zu dem jüdischen Klub der Mainmetropole. Dort hat er erst Fußball gespielt, dann die Jungs trainiert, ist mit ihnen zu Freizeiten gefahren, hat mit ihnen gegrillt. Und blieb bei Makkabi. „Daran habe ich nie gedacht“, antwortet Eilingsfeld fast verblüfft auf die Frage, ob er je einen Vereinswechsel erwogen habe. Makkabi stehe für Zusammenhalt und eine familiäre Atmosphäre. „Wir kümmern uns nicht nur um die Besten und Leistungsfähigen. Der Wohlfühlfaktor ist groß.“

Keine Zeugen und kein Bericht

Judenfeindliche Anwürfe steckt er inzwischen ganz gut weg. Das seien „dumme Aussagen von dummen Menschen“, hält er sich vor Augen, wenn er solche Sätze wie nach dem Jugendmatch hört. Gleichwohl wollte er die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Er schrieb den betroffenen Verein an und bat um Stellungnahme. Die Klubverantwortlichen reagierten prompt und versprachen, den beschuldigten Kapitän ins Gebet zu nehmen. Doch dann passierte erst mal nichts. Nach langen Wochen schaltete Eilingsfeld den Verband ein. Der bedauerte: Es gebe keine Zeugen, und der Schiedsrichter habe keinen Bericht geschrieben. Schließlich war es ja nur ein B-Jugend-Spiel. Solche Entgleisungen seien hauptsächlich ein Problem der unteren Klassen. Ein talentierter Kicker etwa in der Verbandsliga würde den Teufel tun, seine Laufbahn durch eine lange Sperre nach einem judenfeindlichen Spruch zu gefährden. Heikler sei es auf Kreisebene, wo in den Rechtsausschüssen der Verbände oft juristische Laien säßen und monatelang keine Sitzungen anberaumt würden. So gut wie keine Handhabe gebe es gegen Zuschauer, die in der Anonymität der Stehtribüne ihren Hass ausleben. Da ist Meyer froh, wenn keine Messer gezückt werden, denn auch das hat es schon gegeben. „Bei bestimmten Spielen wissen wir vorher schon, dass es heiß werden kann.“ Dann bittet Makkabi um Polizeischutz, der auch gewährt wird.

Sportplatz als Kriegsschauplatz

Ordnungshüter, die Juden schützen müssen – inzwischen wieder Alltag in Deutschland. Auf die Frage, ob die Einwanderung vieler Menschen aus der Türkei und dem Nahen Osten zu diesem beklagenswerten Zustand beigetragen habe, antwortet Meyer ebenso präzise wie differenziert: Ja, die Judenfeindlichkeit sei durch die muslimische Migration stärker geworden, aber er könne die Übergriffe nicht konkret Flüchtlingen zuordnen und möchte auch nicht die Asylpolitik Angela Merkels kritisieren. „Es war wichtig und richtig, dass sie die Tür für Menschen in Not geöffnet hat.“ Es sei immer „eine ganz kleine Minderheit, die den Sportplatz als Kriegsschauplatz missbraucht“, sagt der Makkabi-Präsident. Offenbar rufe ein Davidstern bei vielen Leuten Aggressionen hervor. „Mit dem Überstreifen des Trikots werden wir zum Feind.“ Das Feindbild Jude hat viel mit dem Bild von Israel in der Welt zu tun. Wenn die Lage dort eskaliert, hat das laut Meyer unmittelbare Folgen auf den Umgang mit jüdischen Sportlern in Deutschland. Als „Kindermörder“ werden sie dann beschimpft. Dabei können nichtjüdische Kinder und Jugendliche problemlos Mitglied bei Makkabi-Vereinen werden und ihren Sport treiben. Manche Klubs legen zwar Wert darauf, die Sabbatruhe einzuhalten, was an Samstagen im Spielbetrieb auch mal zu Problemen führen kann. Jüdische Religion ist aber laut Meyer ein untergeordnetes Thema im Vereinsalltag. Makkabi bietet Workshops an zu jüdischem Leben und jüdischen Traditionen – und immer wieder Reisen nach Israel, die nicht billig, aber sehr beliebt sind. „Israel ist ein Gefühl“, schwärmt Meyer. „Jeder, der einmal dort war, fährt immer wieder hin.“

Teil der Gesellschaft

Es gab Zeiten, in denen war das anders. Als der Makkabi-Verband 1965 in Deutschland wiedererstand, bildeten jüdische Organisationen hierzulande noch eine Parallelgesellschaft im Schatten. „Damals haben Juden in Deutschland auf gepackten Koffern gelebt“, erzählt Meyer. Sie hätten den Menschen misstraut, mit denen sie Tür an Tür lebten und die vielleicht ja die Mörder ihrer Angehörigen hätten sein können. Heute, 74 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, ist das ganz anders. „Wir wollen uns öffnen, weil wir die Gräueltaten der Vergangenheit nicht im Hinterkopf behalten wollen“, unterstreicht der Makkabi-Präsident. Der deutsche Sport wird also mit seinen jüdischen Kameraden rechnen müssen. Sie wollen Teil der deutschen Gesellschaft sein und sich im Wettkampf messen. Nicht Rasse und Religion, Tore und Weiten sollen wichtig sein. Auch für Alon Meyer ist das die Messlatte seines Erfolgs. „Ich hab’ immer das Bild von Ignatz Bubis im Kopf, der am Ende seines Lebens im Rollstuhl saß und sich fragte, ob er etwas erreicht hat.“ Meyers Augen leuchten, wenn er an den Sommer 2015 zurückdenkt, als sein Verband die Maccabi World Games ausrichtete. Und als in Berlin, im Olympiastadion, diesem steinernen Erinnerungsort an Hitlers große Sportshow, die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer rund 2300 jüdische Sportler aus 38 Ländern begrüßte, da wusste Meyer, dass die Nazis verloren hatten.

Gemeinsamer Besuch in Lernlabor

Deshalb hat Jugendleiter Eilingsfeld auch nicht darauf gedrängt, den Jungen, der seinem Spieler das wüste Wort vom Scheiß-Juden nachgerufen hat, zu sperren. Das bringe nichts, ist er überzeugt, es verfestige sich bei dem Sünder nur der bittere Eindruck, dass er „keinen Fußball mehr spielen darf wegen der Juden“. Eilingsfeld will nicht strafen, sondern Leute miteinander in Berührung bringen. Die Kontrahenten besuchen gemeinsam das Lernlabor der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt. Eine Strategie, die nach Meyers Beobachtung erfolgreich ist. Dort lernt auch der verstockte Antisemit, dass Juden zwar Gegner auf dem Sportplatz sind, aber ein Recht darauf haben, als Menschen behandelt zu werden.

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