Wirtschaft Region für Rohöl und Riesling

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Wandern auf den Spuren der regionalen Wirtschaft: Heute führt unsere RHEINPFALZ-Serie dorthin, wo besondere Tröpfchen entstehen und vor Millionen Jahren entstanden sind: In der Südpfalz bei Landau, wo Riesling, Rivaner und Ruländer reifen, wird Rohöl gefördert – als Gemeinschaftsprojekt des Ludwigshafener BASF-Konzerns, des US-Ölriesen Exxon Mobil und des Scheichtums Katar.

Wir stehen am Bohrloch La 126 mit den Koordinaten Ost: 8° 6’ 40’’, Nord 49° 13’ 42’’ am nördlichen Rand des Landauer Ortsteils Nußdorf ein Stück weit östlich vom Friedhof – und die Vorstellung ist abenteuerlich. Einmal angenommen, heute käme ein Ölmulti wie Exxon Mobil, Royal Dutch Shell oder BP daher mit der Absicht, Rohöl aus dem Boden zu holen. In der Pfalz, mitten in den Feldern, auf denen das gedeiht, was die Region zum Liebling von Reise- und Gourmet-Medien gemacht hat: Wein. Der Aufschrei wäre groß. Die Pfälzer Ölförderung startete aber vor 61 Jahren. 1955, mitten in der deutschen Wirtschaftswunderzeit, war die Angst vor Risiken weniger ausgeprägt als heute. Damals wurden deshalb Fehler gemacht, die durch die später entstandene Umweltschutzbewegung, strengere Regeln und technische Entwicklungen korrigiert wurden und werden. Aber die eigenartige Nachbarschaft von Ölförderung und Weinbau hat sich harmonisch entwickelt. In Richtung Süden gehen wir auf einem als Radweg markierten Sträßchen in das schmucke Dorf, in dem Winzer und Wintershall einträchtig nebeneinanderher wirtschaften. Die Wintershall GmbH mit Sitz in Kassel ist mit einem Anteil von 50 Prozent am Südpfälzer Erdölfeld Betriebsführerin des Projekts. Im Konsortium sind noch die zum US-Energiekonzern Exxon Mobil gehörende Mobil Erdgas-Erdöl GmbH, Hamburg, und die Itag Tiefbohr GmbH, Celle, mit Anteilen von jeweils 25 Prozent. Die Itag gehört zur Arabian International Petroleum Corporation mit Sitz in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar. Das Bilden von Konsortien mit einem Betriebsführer ist im internationalen Ölfördergeschäft üblich, ob bei der Ausbeutung einer riesigen Lagerstätte unter der Nordsee oder eines kleinen Felds unter dem Weinberg in der Südpfalz. Auf der Kirchstraße gehen wir vorbei an der Johannes-Kirche mit dem römischen Viergötterstein und kommen zum Bauernkriegshaus. Ein Museum (geöffnet von Mai bis Oktober samstags und sonntags von 14 bis 16 Uhr) erinnert an den pfälzischen Bauernkrieg von 1525. Er war Teil des deutschen Bauernkriegs, eines Aufstands gegen die Obrigkeit und ein Vorgänger demokratischer Bewegungen. Ein Dutzend Infotafeln im Dorf geben Auskunft über ganz unterschiedliche Dinge, unter anderem auch über die Ölförderung in Nußdorf mit 19 Förderstationen. Als die Wintershall 1955 die Ölförderung in der Südpfalz startete, war das Unternehmen noch eigenständig. Der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF übernahm die Kasseler erst 1969 und sicherte sich damit den Zugang zu eigenen petrochemischen Grundstoffen. Gut möglich, dass der damalige BASF-Chef Bernhard Timm bei einer Tour durch die mit Pferdekopfpumpen über Ölbohrlöchern bestückten Südpfälzer Weinberge auf die Idee kam, Wintershall zu kaufen. Weiter durch den Ort passieren wir das Schulhaus und den Dorfplatz, bleiben auf dem Radweg, der in die Hintergasse mündet, überqueren die Lindenbergstraße und kommen über eine Gasse mit dem schönen Namen „Am Heimlichen Eck“ zu einem Landmaschinengeschäft. Da biegen wir nach rechts ab und gehen ein kurzes Stück auf der Straße, die nach Godramstein führt, bis zur ersten Abzweigung auf der linken Seite. Hier ist der nördliche Zugang zum Nußdorfer Weinerlebnispfad. In der Pfalz klingt das vielleicht besser als Ölerlebnispfad. Aber der Weg bietet neben Skulpturen, Klangobjekten und Informationen über Wein auch Aussichten auf die Nickpferde. Und seit ein paar Wochen steht am Wegrand die ausgediente Ölförderpumpe, die Graffitikünstler im vergangenen Jahr auf der Landauer Landesgartenschau besprüht haben. Öl aus dem Weinberg – was liegt da näher als ein Preisvergleich von Rohöl und Riesling. Angenommen, ein Barrel, das sind 159 Liter, Öl der hochwertigen Nordsee-Sorte Brent koste 50 Dollar, dann wären das bei einem Euro-Kurs von 1,12 Dollar 44,64 Euro. Südpfalz-Öl ist fast so gut wie Nordsee-Öl und kostet 1 Dollar weniger als Brent. Das wären 43,75 Euro je Barrel. Ein Barrel Riesling aus der Südlichen Weinstraße – abgefüllt in handliche Einliterflaschen – dürfte ab 636 Euro zu haben sein. Damit wäre Südpfalz-Riesling derzeit gut 14 Mal so teuer wie Südpfalz-Rohöl. Und Weinpreise schwanken auch deutlich weniger stark als Rohölpreise. Über die Jahre kennen Pfälzer Weinpreise nur eine Richtung: maßvoll nach oben. Die Annahme, dass der jetzige BASF-Chef Kurt Bock angesichts dieser Preisrelationen bei Ausflügen ins Pfälzer Rohöl- und Rebenland einen Einstieg ins Weinbaugeschäft erwägen könnte, ist aber reine Spekulation. Den Weinpfad hinunter bietet sich ein schöner Blick auf Landau. Links taucht in einiger Entfernung eine große Pferdekopfpumpe auf. An der nächsten Abzweigung können wir über Feldwege darauf zu oder bis hin zum Nickpferd gehen. Weitere Pumpen sind von hier aus auszumachen. Wir gehen den gleichen Weg zurück zum Weinerlebnispfad, biegen nach links ab und folgen ihm Richtung Süden bis zu einem Parkplatz. Eine der Infotafeln beschreibt Weinaromen. Unter der Rubrik „Mineralisch“ taucht die Geschmacksnote „Petrol“ auf. Volltreffer. Mit gut 30 Mitarbeitern und 65 Nickpumpen fördert das Südpfalz-Konsortium aus bis zu 1800 Metern Tiefe im Jahr 18.000 Tonnen oder 130.000 Barrel. Das entspricht unter den oben getroffenen Annahmen einem jährlichen Produktionswert von 5,8 Millionen Euro. Einen Förderzins von 15 Prozent kassiert das Land Rheinland-Pfalz. Zurück auf dem Weinpfad gehen wir auf diesem wieder nach Süden bis zu einem Parkplatz, dort nach rechts zum Hochzeitswingert, da wieder rechts und auf dem Pfad zurück nach Nußdorf zum Startpunkt mit der Pumpstation La 126. Um die Produktion in den nächsten Jahren stabil halten zu können, plant das Wintershall-Konsortium, wie Mitte Mai berichtet, zehn weitere Bohrungen. Und um die richtigen Plätze für die künftigen Pumpstandorte zu finden, sind im Winter ab Januar seismische Messungen mit Fahrzeugen geplant, die Vibrationen auslösen. Nach Veranstaltungen zur Information der Bürger in Landau und weiteren Südpfalz-Kommunen habe Wintershall kürzlich die entsprechenden Genehmigungen beim Landesamt für Geologie und Bergbau in Mainz beantragt, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Gut möglich, dass die Südpfälzer Ölförderer manchmal nachdenklich in Richtung Speyer schauen. Dort wurde 2003 bei der Suche nach Erdwärme in über 2000 Metern Tiefe zufällig Erdöl entdeckt. Das Konsortium aus Engie E&P Deutschland GmbH (bis zum April 2015 hieß das Unternehmen GDF Suez Deutschland) und der Palatina Geocon bringt es in Speyer auf eine Jahresproduktion von rund 180.000 Tonnen Öl. Das ist zwar wenig im Vergleich zum deutschen Jahresverbrauch von 110 Millionen Tonnen, aber immerhin zehn Mal mehr als die Ausbeute in der Südpfalz. Das Speyer-Konsortium will eine dreistellige Millionensumme investieren, um die Produktion zu verdoppeln. Kürzlich gab es dazu Gespräche mit Behörden und Umweltschutzverbänden.

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