Wissen Wir sind Papst

Männer und ihr Gerät: Warum es wegen der Beherrschung manchmal eines sanften Zupfers bedarf.

Zu Beginn ein Bekenntnis: Ich habe mich noch niemals in meinem Leben geprügelt. Auf dem Schulhof ging ich – war es Feigheit, Klugheit, Vorsicht? – immer einen Schritt zur Seite, wenn die harten Jungs die Hitze überkam. Später, im Wettstreit um die Frauen, benutzte ich auf meinen Eroberungszügen subtilere Waffen als die Faust. Die Erfahrung eines physischen Kampfes fehlt mir. Fehlt mir was? Heute schwimme ich gleichmütig in dem Strom graugesichtiger Mittfünfziger, die sich trübe Gedanken um ihre Altersversorgung machen. Sich zu prügeln, ist so undenkbar wie eine Liebesnacht mit Miley Cyrus. Andererseits ist da dieser ältere, milde, würdevolle Herr, der unter dem Namen Franziskus in Rom lebt. Journalisten sprachen ihn an auf Karikaturen, die Religionen verspotten. Der heilige Mann erwiderte, wer seine Mama beleidige, müsse halt damit rechnen, einen Faustschlag abzukriegen. Ich war nie so katholisch wie an dem Tag. Ich war Papst. Franziskus ist ein Mann, schon von Amts wegen. Männer gehen mit ihren Depressionen anders um als Frauen. Sie rasten einfach aus. Die amerikanische Komödiantin Elayne Boosler sagt: „Wenn Frauen depressiv sind, fangen sie an zu essen oder gehen zum Shopping. Depressive Männer überfallen fremde Länder.“ Nun besteht bei mir keine Gefahr, dass ich nach Syrien reise und mich dem IS anschließe, doch vor Kurzem passierte etwas, das nicht so recht in meinen zivilisierten Alltag passen wollte. Ich stehe am Zebrastreifen, der Verkehr rauscht vorbei, neben mir wartet eine ältere Frau, die sich ängstlich an ihren Rollator klammert. Wir überqueren die Straße, gemessenen Schrittes, sind schon fast auf der anderen Seite, da rauscht ein Wagen heran, ein silbriger Golf GTI, sein Fahrer hupt, das Auto braust nur knapp hinter uns vorbei. Bin das wirklich ich, der den rechten Arm hebt, den Mittelfinger ausstreckt und brüllt: DICK MILCH DU MIXXER? Der Golf bleibt am Straßenrand stehen. Seine Lichter strahlen, es wirkt wie eine Einladung. Jetzt Adrenalin tanken, hinrennen, die Autotür aufreißen, brüllen, schlagen, treten, kratzen. Die Chance ist da, ein Loch im Lebenslauf zu stopfen. „Komm, Papa“, zupft mich mein Sohn am Ärmel. „Lass’ uns gehen.“ Ich wende mich ab. Schweigend gehen wir heim. Seither wächst mir ein Heiligenschein.

x