Rheinpfalz Westpfalz – Ostafrika

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Jahresurlaub mal anders: Ein Ärzteteam um die Kaiserslauterer Anästhesistin Heidi Paschen und den Pirmasenser Urologen Horst Brenneis fliegt seit 2005 einmal im Jahr nach Kenia. Im SOS-Kinderdorf Buruburu beschneiden sie kostenlos junge Männer aus Slums. Diesmal wäre der Einsatz beinahe gescheitert.

Es ist ein heißer Dienstagmorgen in Buruburu, einem Stadtteil der kenianischen Hauptstadt Nairobi, als das Ärzteteam mit den Operationen beginnt. Jedoch fängt der Tag nicht so an, wie sich das die Mediziner aus der Pfalz vorgestellt haben. Ein dreijähriger Junge namens Wanye John bringt den Plan durcheinander. „Mein Sohn hat einen Leistenbruch“, erklärt die 25-jährige Mutter auf Englisch. Bezahlbare Hilfe hat die alleinstehende Frau in Nairobi seit der Diagnose im April nicht gefunden, wie sie sagt. 50.000 Kenia-Schilling, das sind 500 Euro, kann sie nicht aufbringen. Die deutschen Ärzte sind ihre letzte Hoffnung: das Team um die Narkoseärztin Heidi Paschen aus Kaiserslautern, den Urologen Horst Brenneis aus Pirmasens und den Chefarzt für Chirurgie des St. Elisabeth-Krankenhauses in Rodalben, Steffen Nirmaier. Die Mediziner aus der Pfalz und sechs weitere Helfer sind auch in diesem Jahr für zehn Tage ihres Jahresurlaubs nach Kenia geflogen, um dort kostenlos junge Männer zu operieren, die in Slums leben. Konkret: Jungs, die an Vorhautverengung leiden. Die Phimose, wie das Krankheitsbild für Mediziner heißt, steht im Mittelpunkt des Pfälzer Engagements, weil die Krankheit in Kenia häufig diagnostiziert wird, aber auch, weil erwiesen ist, dass beschnittene Jungs seltener an Aids erkranken als unbeschnittene: Das Risiko liegt um 30 Prozent niedriger. Und: Einem kleinen Teil der Jungen wird durch die Operation die lebensgefährliche rituelle Beschneidung erspart. Doch erst mal steht an diesem Dienstagmorgen der dreijährige Wanye John unplanmäßig auf dem Plan. Brenneis und Paschen bereiten alles vor. Kurz darauf liegt der Knirps auf dem provisorischen Operationstisch. Zwei Stunden später ist er von seinem Leistenbruch befreit. Seit 2005 fliegen Paschen, Brenneis, dessen Ehefrau Silvia, Krankenpfleger Jürgen Stegner und einige Helfer jährlich nach Kenia und operieren in Buruburu. 2013 vergrößerte sich das Team auf zehn Personen. Ein Projekt dieser Art hatte dem Urologen Brenneis schon lange vorgeschwebt. „Es konnte nur eine Hilfsaktion sein, bei der ich nicht wochenlang meine Facharztpraxis schließen muss“, erklärt er. Als Heidi Paschen ihm 2005 vorschlug, in Kenia zu helfen, habe er sofort zugesagt – wie das auch „Neuling“ Steffen Nirmaier im vergangenen Jahr tat. Durch die Doppelbesetzung können jetzt noch mehr Kinder operiert werden. „Den medizinischen Phimose-Eingriff kann sich hier niemand leisten, obwohl er nur 50 Euro kostet“, klärt Brenneis auf, während am provisorischen OP-Tisch die Vorbereitungen laufen. Am Nachmittag kommen die ersten Patienten mit Vorhautverengung. Der Ablauf ist immer gleich: Fiebermessen, Lunge abhören, Vormedikation verabreichen. Oft völlig hilflos und ängstlich schauen die kleinen Augen auf Ulla Zimmermann-Wilhelm, im normalen Leben medizinische Angestellte. „Die Angst der Kinder vor dem Eingriff ist fühlbar“, sagt sie. Die weiße Frau aus einer völlig anderen Welt beruhigt die Jungen. Nur wenige der älteren stellen Fragen: „Was esst ihr in Deutschland zum Frühstück?“ will der 15-jährige Evans wissen. Während der Operation erledigen die Helfer kleine, wichtige Arbeiten: Sie legen das Stofftierchen für den Aufwachraum bereit, bringen frische, saubere Unterhosen in den OP und füllen eine Tüte mit neuen Kleidern für die Operierten. Katharina Wilhelm, Studentin für Ethnologie, und Brenneis’ Arzthelferin Alexandra Stretz sorgen für sterilisiertes OP-Besteck. Silvia Brenneis schaut im Aufwachraum nach dem Rechten. Nach 60 Minuten dort können die Patienten das „medical center“ verlassen. Manche sprechen von Zauberei, weil sie im Vorbereitungsraum einschlafen und erst im Aufwachraum wieder die Augen öffnen. „Bitte die Wunden nicht berühren. Und morgen zur Nachuntersuchung die frischen Unterhosen anziehen!“ Brenneis wird nicht müde, das jedem Patienten und den Angehörigen, falls welche mitgekommen sind, zu erklären. Es nützt auch diesmal nichts. Am nächsten Morgen stehen die Jungs – viele kommen tatsächlich zur Nachsorge –, wieder in ihren alten Hosen vor den Ärzten. „Das ist eben Afrika“, besänftigt sich der Urologe selbst Diese ernüchternde Erkenntnis hat das Team aus der Pfalz auch bei den Vorbereitungen beschäftigt. Rückblende auf Sonntag, zwei Tage vor dem Start der ersten OPs. Kurz nach der Ankunft der Pfälzer in Buruburu war das Durchchecken der Medizinkoffer und das Überprüfen des Materials, das das Jahr über in Kenia lagert, zunächst reibungslos verlaufen. „Keine Wasserschäden, wie wir das schon mal hatten, alles in Ordnung“, stellt Brenneis fest. Nirmaier und Stegner präparieren den provisorischen OP-Tisch und sichern mit Klebeband die von Deutschland mitgebrachte OP-Lampe an einem Infusionsständer. Der Fuß ist nicht mehr auffindbar. Aufwach- und Vorbereitungsraum bestückt das Team mit Tischen, Liegen und den notwendigen Materialien. Die Toilettenanlage inklusive Dusche dient als Sterilisationseinheit. Das hat sich bewährt. Es läuft alles glatt. Doch dann die Hiobsbotschaft von Stegner: „Die Sauerstoffflasche mit den europäischen Anschlüssen ist leer“, ruft der auf Narkose spezialisierte Krankenpfleger. Obwohl das vorab mit dem Team des SOS-Kinderdorfs anders abgesprochen war, hatten die Einheimischen die britischen Sauerstoffflaschen befüllen lassen. Doch die weißen Daktaris brauchen für das deutsche Narkosegerät die Behälter mit den kontinentaleuropäischen Anschlüssen. Am Montag versucht Stegner mit den technischen Mitarbeitern des Kinderdorfs und Carlos, einem der beiden kenianischen Fahrer, bei verschiedenen Firmen in Nairobi die deutsche Flasche mit Sauerstoff füllen zu lassen. Die Zeit läuft davon. Doch nach vier Stunden und unzähligen Versuchen steht fest: Am Montag kann nicht operiert werden. Die bereits voruntersuchten Jungen müssen nach Hause geschickt werden. Nach Hause? „Das bedeutet einen Fußmarsch von teils mehreren Stunden und für die meist mit zerrissenen Kleidern angekommenen Kinder ein Schlafplatz in einer Blechhütte oder einfach auf der staubigen Straße“, weiß Brenneis. Der Zeitplan des Hilfsteams gerät ins Wanken – wegen einer falsch befüllten Sauerstoffflasche. „Hoffentlich können wir diese Woche überhaupt operieren“, sieht Nirmaier gar den gesamten Einsatz in Gefahr. Am Dienstag dann das große Aufatmen: Mit einem von den Einheimischen irgendwo hergezauberten Adapter fließt der Sauerstoff ins Narkosegerät. Auch das ist Afrika. Die Erleichterung ist groß. Der Hilfseinsatz kann beginnen, mit nur einem Tag Verzögerung. „Wir konnten 49 Beschneidungen durchführen, habe erstmals einen Leistenbruch operiert und zwei Gewebeuntersuchungen gemacht“, bilanziert Brenneis am Ende zufrieden: „Statt am Montag haben wir diesmal eben auch noch freitags operiert. „Hier muss man improvisieren können.“ In der Urlaubsplanung der Teammitglieder sind auch für 2015 wieder zehn Tage geblockt: Für den nächsten Trip nach Buruburu.

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