Landau Städte sehen auch Chancen

Die Politik braucht ein stärkeres ethisches Fundament, denn sie ist mitschuldig an der Flüchtlingskatastrophe. Dies hat Heiner Geißler (CDU) gestern vor dem rheinland-pfälzischen Städtetag in der Landauer Festhalle gesagt. Der Spitzenverband schwankt zwischen Sorge und Zuversicht.

Wenn internationale Konzerne in Entwicklungsländern Land aufkaufen und mit Lebensmitteln spekulieren, muss sich niemand wundern, wenn sich Kleinbauern, denen die Lebensgrundlage entzogen wird, auf den Weg machen – „Wir selber haben sie in die Flucht getrieben.“ Das war eine von Heiner Geißlers Thesen in seinem Festvortrag. Die haben den stellvertretenden Vorsitzenden des kommunalen Spitzenverbandes, den Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel (SPD), so begeistert, dass er sein Schlusswort mit den Worten einleitete: „Liebe Genossinnen und Genossen, eine fundiertere Kapitalismuskritik haben wir schon lange nicht mehr gehört.“ Kissel stellte sich hinter die „mutigen Worte“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): „Wir schaffen das.“ Und bezog das „wir“ bewusst auf die Städte: „Wenn nicht wir, wer dann?“ Was auch die Position des Städtetages insgesamt recht gut umschrieb: Der schwankt zwischen berechtigten Alarmrufen wegen der Kommunalfinanzen und einem gesunden Selbstbewusstsein. Der Städtetagsvorsitzende Bernhard Matheis (CDU), Oberbürgermeister von Pirmasens, vermisst einen Masterplan für die Kommunen, denn auch wenn die Unterbringung von Flüchtlingen derzeit das beherrschende Thema sei, dürfe nicht vergessen werden, dass für die Integration in den Arbeitsmarkt, die Schulversorgung und die Kleinkinder-Betreuung jährlich 3,5 Milliarden Euro nötig seien. Das könnten die Kommunen nicht leisten. Die Städte seien schon vorher unterfinanziert gewesen, ergänzte Nikolaus Roth (SPD), Oberbürgermeister von Neuwied, im Pressegespräch, doch der Haushaltsausgleich sei auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Städtebund-Geschäftsführer Wolfgang Neutz konstatierte, dass die Kommunen in Rheinland-Pfalz bei der Finanzausstattung durch das Land ohnehin „Träger der Roten Laterne“ seien. Besserung ist nicht in Sicht: Matheis kritisierte, dass der vom Bund zugesagten Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling 1250 Euro Kosten gegenüberstünden. Das Land wäre gefordert, den Differenzbetrag zu übernehmen, stattdessen wolle es ab 2016 seinen bisher gezahlten Anteil von 513 Euro streichen. „Die Landesregierung stiehlt sich aus der solidarischen Verantwortung“, so Matheis. Damit ist sie nicht allein: Auch „das steinreiche Saudi-Arabien“ leiste keinen Beitrag zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems. Kissel forderte Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau, steuerliche Anreize, damit privates Geld auf diesem Sektor investiert wird, und ein Aussetzen der Energieeinsparverordnung, damit das Bauen preiswerter wird. Stichwort Gerechtigkeit: Ein Wohnungsbauprogramm habe auch völlig unabhängig vom Flüchtlingsthema auf der Tagesordnung gestanden, weil der Wohnungsmarkt stark angespannt sei und viele Menschen keinen preiswerten Wohnraum mehr fänden. „Es geht nicht um ein Sonderkontingent für Flüchtlinge, sondern um Wohnraum für alle“, so Matheis. Die Kommunen wollen aber nicht nur schwarzmalen: Zum Thema des gestrigen Treffens gehörte auch der Halbsatz „Zuwanderung als Herausforderung und Chance.“ Eine Chance sehen die Kommunen laut Matheis in der Tatsache, dass überwiegend junge Menschen kommen, was den demografischen Wandel verlangsamen und der Wirtschaft bei der Suche nach Arbeitskräften helfen könne. „Unsere Chance ist eine Katastrophe für die Herkunftsländer“, merkte Roth an. Wenn die Menschen hier erst einmal Wurzeln geschlagen hätten, würden sie nicht mehr zurückgehen. Gemessen an den epochalen humanitären Herausforderungen durch das Flüchtlingselend, mute das monatelange Schmierentheater um die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit Griechenlands trivial an, sagte Matheis. Ähnlich wie Geißler, übte auch er Kritik an der Politik: In Deutschland würden viele Kräfte bei Diskussionen über Luxusprobleme vergeudet, zu lange seien immer ausgefeiltere soziale Leistungen diskutiert worden. (boe)

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