Ludwigshafen Siedlerlos

Man hatte reichlich Platz zum Bauen, in den 1930er-Jahren in denen der abgebildete Teil  der Ludwigshafener Niederfeldsiedlung e

Eine „Siedlung“ gibt es in vielen pfälzischen Kommunen – weil sie als städtebauliches Modell im frühen 20. Jahrhundert in ganz Deutschland umgesetzt wurde. Was einmal der Arbeiterschaft Wohnraum im Grünen verschaffen sollte, bietet bis heute städtisches Wohnen in fast dörflicher Struktur – bringt aber auch aktuelle Probleme mit sich.

Küche zu klein, Kinderzimmer zu klein, offenes Wohnen nicht vorhanden“: Der Grünstadter Architekt Matthias Dichtl fasst Gestaltungsdefizite des Siedlerhauses bündig zusammen – und kann dabei auf einige Erfahrung zurückgreifen: Sein Büro hat schon mehrere überplant, im Grünstadter „Franzosenviertel“ beispielsweise. Und nicht zuletzt hat Dichtl mit der Umgestaltung seines eigenen Hauses aus den 1960er-Jahren ein preisgekröntes Objekt geschaffen – und dabei ist „das Haus als solches noch erkennbar“, sagt der Architekt. Wohl die wichtigste Grundvoraussetzung für eine sinnvolle Siedlungshaussanierung: Die Siedlung als historisch gewachsenes Quartier mit ganz eigenem Charakter zu akzeptieren – und da nichts reinzusetzen, was völlig aus dem städtebaulichen Rahmen fällt. Ein Haus ist etwas, mit dem ein Konzept von Familie Gestalt annimmt. Und weil sich da in den letzten Jahrzehnten dann doch einiges geändert hat, müsste Josef Waldmann jetzt eigentlich den Anbau an der Dachtraufe packen und einige Meter Richtung Garten schieben. „Bei den eigenen Schwiegereltern anbauen: Würde die heutige Jugend nicht mehr machen“, sagt Waldmann und grinst. Früher war das anders: „Im Vorderhaus haben Vater, Mutter und neun Kinder gewohnt“, so der Zweite Vorsitzende der Siedlergemeinschaft Niederfeld – und er selbst hat an die Kernfamilie seiner Frau sozusagen den Anbau gesetzt. Generationsübergreifendes Wohnen: Wird in der Familie Waldmann gelebt, im alten Vorderhaus wohnen heute Sohn und Enkel. Generationsübergreifendes Wohnen: Wird in der nächsten Generation dann wohl wieder einmal mit Umbauten verbunden sei, und sei es nur, weil das Grundwasser auf den Keller drückt: „Wenn heute mein Enkel das Vorderhaus übernehmen wollte, würde ich sagen: Paul, reiß das Ding ab“, sagt Waldmann. Läuft man durchs Viertel, die Niederfeldsiedlung im Ludwigshafener Ortsbezirk Gartenstadt, dann kann man die Familiengeschichte vieler Bewohner an den Anbauten ablesen – und bekommt einen Abriss der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts gratis dazu. Man kann erkennen, wann das Konzept der Selbstversorgung außer Mode gekommen ist – und wer zwischen 1932 und heute Wohnraum statt Garten gebraucht hat. Man kann erkennen, wann der Trend zum Glasbaustein seine Spuren im Eigenheimbau hinterlassen hat und wann er die Höflichkeit besessen hat, wieder abzuflauen. Man kann das Kommen und Gehen des Hangs zum Wintergarten beobachten, und wenn man um die Ecke des Waldmannschen Anwesens tritt und sich der Hauptstraße nähert, die hier unten „Niederfeldstraße“ heißt – dann steht man mitten in einem Querschnitt durch die Sozial- und Ideologiegeschichte des 20. Jahrhunderts. Und durch die Geschichte der Siedlung. Das Kerngebiet des Stadtbezirks liegt weiter oben, dort, wo sich die Straße das alte Hochufer des Rheins hinaufgearbeitet hat, auf dem Hochfeld. Ab 1914 erstellt die Baugenossenschaft Gartenstadt dort die ersten 26 Siedlungshäuser. Man liegt damals voll im sozialpolitischen Trend der Zeit: Die Gartenstadtbewegung, ursprünglich aus Großbritannien stammend, will den Arbeitern der Industriemetropolen Wohnraum im Grünen bieten, auf großzügig geschnittenen Grundstücken mit Möglichkeit zur Selbstversorgung. Und dem Proletariat Schutz vor Mietwucher und Grundstücksspekulationen geben: Die Genossenschaft bleibt Besitzer der Häuser im neuen Stadtquartier. Das auch deshalb schnell wächst, weil der Gartenstadtgedanke ideologieübergreifenden Charme entfaltet: Die „Heimstättenbewegung“ fördert sozial gebundenes Wohneigentum, ab 1919 entsteht in direkter Nachbarschaft der Genossenschafts-Bauten eine Heimstättensiedlung. Und während die Kern-Gartenstadt noch wächst, bildet sich schon der nächste Baumring der örtlichen Sozial-Topographie – die „Randsiedlung“, wie sie in jener Zeit deutschlandweit und auch in vielen anderen pfälzischen Kommunen entsteht. Fünf Millionen Arbeitslose gibt es im Jahr 1931 im Reich – und bezahlbarer Wohnraum wird für Arbeiter und Arbeitslose gleichermaßen zur Mangelware. Mit einer Notverordnung vom 6. Oktober 1931 versucht die Regierung Brüning, Wohnungsbauprogramm und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu verbinden: Arbeitslose sollen dabei in Eigenleistung Siedlungshäuser bauen, mit Hilfe staatlicher Kredite und auf kommunalem Grund. Man gewährt den Kommunen entsprechende Gelder, die dann vor Ort auf die Siedlerstellen verteilt werden. Zwischen 5000 und 8000 Reichsmark werden so, je nach kommunaler Planung, für den Bau der meist eineinhalbstöckigen Häuser aufgewandt – Schlichtbauten schon zu ihrer Entstehungszeit, auf 600 bis 1000 Quadratmeter großen Grundstücken. Man pflegt weiter das Ideal einer quasi-ländlichen Selbstversorgung. Liest sich wesentlich idyllischer, als es war. Das Siedlerlos zu Beginn: blanke Armut. „Das waren Leute, denen war die Not ins Gesicht geschrieben“, sagt Waldmann. Die Siedlung bleibt auch im Nationalsozialismus in Mode: Die Gartenstädter Randsiedlung, die bald „Adolf-Hitler-Siedlung“ heißt, wird bis 1938 beträchtlich erweitert, viele Quartiere wie das auf der Wollmesheimer Höhe in Landau entstehen erst jetzt. Man kann manchen Vierteln die Zeitenwende am Stadtplan ablesen: Während des Nationalsozialismus erhalten die Siedlungen bevorzugt geschwungene Straßen – um künstlich einen dörflichen Charakter zu schaffen. Die Siedlungen überleben auch die Plangewordene Blut-und-Boden-Ideologie: Viele wachsen bis in die 1950er- und 1960er-Jahre – um Kriegsheimkehrern oder Aussiedlern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten eine Bleibe zu verschaffen. Was im Ergebnis heißt, dass jene Quartiere, die räumlich wie ideengeschichtlich irgendwie zwischen Stadt und Land stehen, bis heute das Gesicht vieler Kommunen prägen – und da tut man gut daran, sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen. 2011 hat die TU Kaiserslautern im Auftrag des Landes-Finanzministeriums eine Studie zum Thema erstellt, sechs Siedlungen vor allem im Norden des Bundeslandes hat man dafür untersucht. Folgt man den Zahlen, dann stellt die Siedlung ein Paradoxon gar: gleichzeitig als Wohnraum begehrt – und überaltert. 36 Prozent der Befragten haben demnach ihr Siedlungshaus gekauft, sind also Zugezogene – und trotzdem liegt der Altersdurchschnitt der Studienteilnehmer mit 61 Jahren weit über Bundesdurchschnitt. „Eine Entwicklung zur Überalterung gibt es in vielen Siedlungen“, sagt Michael Spies, Professor für Wohnungsbau an der Hochschule Mainz. Was zunächst natürlich mit den demographischen Rohdaten zusammenhängt: Kinder, die nicht gezeugt werden, können im Erbgang auch keine Siedlungshäuser übernehmen – und in der Folge wird laut Spies der demographische Wandel „dort evidenter“ als im Miet-Geschosswohnungsbau mit seiner stärkeren Bewohner-Fluktuation. Siedler Waldmann sieht zudem einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitswelt: „Ab 1955 hat man eigentlich überall Arbeit bekommen“, sagt Waldmann, „heute ziehen die Jüngeren dahin, wo`s Arbeit gibt.“ Und jetzt stellt sich die Frage, wie man damit umgeht, mit dem Raum ohne Volk. „Siedlungen sollten maßstäblich weiterentwickelt werden“, sagt Spies, „Siedlungen haben Nachverdichtungspotential“. Schon länger großes Thema in der Stadtplanung, Stichwort „Innen vor Außen“: Statt immer neue Flächen in den Stadt- und Ortsrandlagen als Baugebiete auszuweisen und zu versiegeln, streben die Planer eher das innerörtliche Bauen in zweiter Reihe an – entwicklungsökonomisch auch deshalb sinnvoller, weil die bestehenden Baugebiete ja bereits erschlossen sind. Allerdings: Der Prozess läuft in vielen Siedlungen ohnehin schon seit Jahrzehnten, und nicht nur bei Familie Waldmann. Dem Bausachverständigen Norbert Laun aus Ludwigshafen begegnen bei seiner Tätigkeit in den Siedlungen jedenfalls „viele Hammergrundstücke“, also Baugrundstücke, die von der Straße aus gesehen hinter einem anderen liegen und durch eine schmale Zufahrt zu erreichen sind. Typisches Entwicklungshindernis in den Siedlungen dabei: Der Zuschnitt vieler Grundstücke, zehn auf 60 Meter beispielsweise, gut für den Gartenbau, schlecht für eine sinnvolle Überbauung des Gartens. „Das Ursprungskonzept war eben ein anderes“, sagt Ingenieur Laun. Und will man die alten Siedlungshäuser selbst aufwerten, beispielsweise um sie für junge Familien attraktiv zu machen, dann stößt man wiederum oft an die Grenzen der zeittypischen Ansprüche aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Klingt vernünftig – läuft aber natürlich trotzdem ins Leere, wenn die Quartiere überaltern und schlicht keiner mehr da ist, der sich ums Siedlungshaus kümmert. Wie man damit umgeht, das hat die Stadt Speyer Anfang der 2000er-Jahre gezeigt – in einer allerdings ganz speziellen Problemlage. Das Stadtviertel Speyer Nord ist aus einer klassischen Randsiedlung entstanden, wie die Niederfeldsiedlung Anfang der 1930er-Jahre. Im Lauf der Jahrzehnte hatte sich an die Kernsiedlung noch einiges an sozialem Wohnungsbau angelagert – und Anfang der 2000er-Jahre drohte das Viertel zum sozialen Brennpunkt zu werden. Und da hat man, unter anderem mit Mitteln aus dem Fördertopf „Soziale Stadt“, erst symbolträchtig geklotzt und dann aufwändig an der sozialen Mikroarchitektur geschraubt. Zwei Hochhäuser im Viertel hat man abgerissen – und an deren Stelle ein Mehrgenerationenhaus gesetzt: zentraler Verknüpfungspunkt für das, was Sven Fries, damals Projektleiter und heute Leiter eines Planungsbüros, „kleingliedrige soziale Infrastruktur“ nennt. Einer der vielen Ansätze beim Projekt war, Altsiedler und neu Zugezogene, viele Russlanddeutsche darunter, miteinander in Kontakt zu bringen. Eine „Taschengeldbörse“ ist so beispielsweise entstanden. Wer jemanden fürs im Alter doch anstrengende Rasenmähen sucht, kann dort beispielsweise nachfragen. Die Vernetzung der Bewohner, auch die von Ur- und Neusiedlern, von Jung und Alt, hat dem Viertel insgesamt geholfen, allerdings: An der Altersstruktur der eigentlichen Kernsiedlung hat sie nichts ändern können. Droht der Region also in einer nicht allzu fernen Zukunft die siedlerlose Siedlung? „In Speyer ohnehin nicht“, sagt Fries und lacht – angesichts einer konstant hohen Immobiliennachfrage in der Domstadt. Niederfeldsiedler Waldmann beobachtet eine allmähliche Veränderung in seinem Viertel mit dem Zuzug türkischer Familien, die Siedlungs-Grundstücke sind für viele deutsche Kleinfamilien wohl schlicht zu groß. Architekt Dichtl konstatiert, dass die Siedlungshäuser in der Grünstadter Franzosensiedlung immer noch vor allem in den Familien weitergegeben werden – und selten auf dem freien Markt landen. Und generell ist jedenfalls die Vorderpfalz immer noch Zuzugsregion – mit weniger gravierenden demographischen Problemen als Eifel oder Westerwald. Und wahrscheinlich ist die aktuelle Niedrigzinsphase mit nahezu leergekauftem Immobilienmarkt auch ein schlechter Zeitpunkt, nach der Zukunft des Eigenheims zu fragen. „Im Moment geht alles weg“, sagt Baugutachter Laun.

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