Rheinpfalz Sang und Klang auf dem Rheinland-Pfalz-Tag

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Musik satt gab’s auf dem Rheinland-Pfalz-Tag. Die Angebote reichten von volkstümlichen Klängen über den Big-Band-Sound bis hin zu Pop, Rock & Co. RHEINPFALZ-Mitarbeiter Walter Falk stürzte sich am Freitag- und Samstagabend ins Getümmel und bekam jede Menge davon mit – bis das Kreuz schier durchbrach und die Füße qualmten. Ein Erfahrungsbericht.

„Lena! Lena!“ Alle wollten die Gewinnerin „des European Song Contests“ aus dem Jahr 2011 hören. Die Fernseh-Direktübertragung auf der SWR-Bühne stahl jedoch den sogenannten Stars auf der RPR1-Bühne am Samstagabend die Show. Und nicht zuletzt bewiesen regionale Bands wie Crew V von der Emmerich-Smola-Musikschule Kaiserslautern, die Habachtaler und die Westpfälzer Erfolgsformation Brass Machine, dass sich heimische Musiker vor den prominenten Kollegen nicht verstecken müssen. Ganze Völkerscharen zog es zu später Stunde am Freitag vor die RPR1-Bühne, um Lena Meyer-Landrut hautnah zu erleben. Da mussten sie jedoch noch warten, bis das Feuerwerk vorbei war, das die schätzungsweise 5000 Zuschauer wegen der haushohen Werbetafeln überhaupt nicht sehen konnten. Ein Bärendienst des Großmarkts, der die Besucher des Rheinland-Pfalz-Tages so herzlich damit begrüßen wollte. Sprechchöre schon vor Lenas Auftritt. Endlich betrat sie die Bühne. Schwarzer, knöchellanger Rock, weiße Bluse, unter der viel Haut zu sehen war, hüftlanges, schwarzes Haar. Entzückte Schreie. Vor allem von den sieben- bis zehnjährigen Mädchen. Lena gab sich aber auch entzückend. Die Performance war perfekt. Sie hüpfte zum Rhythmus ihrer Lieder wie ein Gummiball. Aber die Stimme! Zweimal musste man da hinhören. Piepsig. Und naiv, genau so, wie sie sich in Interviews darstellt. Gut, durch Elektronik war sie gefiltert. Musikalischer Eintopf sind ihre Elektro-Pop-Songs. Einfallslos. Mit jedem Song sank die Stimmung. Viele wendeten sich ab und ergriffen die Flucht. Kaum jemand interessierte sich vorher für Selig. Wummernde Bässe, dröhnende Schlagzeug-Riffs und jaulende Gitarren-Soli konnten gewisse Schwächen nicht überdecken, auch Seligs Stimme ist ausbaufähig. Joris hingegen bestach mit intelligenten deutschsprachigen Liedern und einnehmender Stimme. Pfälzer schossen hier den Vogel ab: Die Dicken Kinder aus Landau verstanden es vorzüglich, den Groove des derben Rock mit Funk und souliger Wärme zu mischen und mit dröhnenden Riffs von der Bühne zu schleudern. Gleich drei Sänger begeisterten mit schrillen Lauten, mit melismatischen Sturzflügen und flexiblen Stimmen. Drei Stimmungsbomben, die das Publikum auf Trab brachten und die gute Stimmung durch die Eröffnung der Ministerpräsidentin Malu Dreyer weitertrugen. Schnell sich durch das Gedränge der Menschenmassen zur SWR1-Bühne schlängeln! Unter der großartigen Moderation von Martin Seidler entfaltete sich eine Show, die internationalen Ansprüchen durchaus entsprach. Unter Leitung von Klaus Wagenleiter trug die SWR-Bigband die Gesangsstars zu wahren Höhenflügen empor, spielte kristallklar, baute gediegene Stimmungen auf, die sie in Facetten zerlegte und vergrößert zurückgab. Das war Musik, die im Hintergrund Atmosphären zauberte und noch in Details bestach, wenn sie sich nach vorne zoomte. Da passte Alexa Fesers kraftvolle und emotionsgeladene Stimme, die sie zudem selbst am Klavier begleitete, wie die Faust aufs Auge. Ihr Song „Gold von morgen“ zeigte, dass sie Gold in der Kehle hat. Genau wie die einstige Backgroundsängerin von Ina Müller, Ulla Ihm. „War das schon alles?“, intonierte sie mit dunkel gefärbter, warmer Stimme. Nein, das war sicherlich nicht alles. Von dem Jungstar ist noch einiges zu erwarten. Max Mutzke kam, sah und siegte. Mit seinem Markenzeichen, der Batschkapp’ auf dem Haupt, und mit einer Stimme von ekstatischer Reinheit und Falsetts von ungezwungener Klarheit und Leichtigkeit eroberte der „beste Schwarzwald-Export“ das Publikum im Handumdrehen. Thomas Anders zeigte vor den messerscharfen Bläserriffs der Big Band überraschend großartiges Jazzfeeling, das er mit Soulfarben und Gospeltönen mischte, und er schwebte mit dem Klassiker „Fly Me To The Moon“ tatsächlich schier zum Mond empor. Weltklasse der Berliner Chansonnier Klaus Hoffmann mit seinen Songs wie „Berliner Sonntag“ oder „Treppe ruff, Treppe runter“. Mit seiner eindringlichen Stimme vermittelte er persönlich empfundene, emotionsreiche, starke Bilder in einem intensiven Wortrhythmus. Und das mit ungekünstelter Intensität und musikalischer Feinfühligkeit. Acht Bands auf vier verschiedenen Bühnen standen am Samstag auf dem persönlichen Programmzettel. 18 Uhr: Bühne von der Polizei am Edeka-Markt. Die Big Band des Bundespolizeiorchesters München bewies, dass die Gesetzeshüter mehr sind als „dein Freund und Helfer“. Unter der Leitung von Werner Willems legen die Musiker viel Power und exquisites musikalisches Handwerk an den Tag und setzen bei Titeln von Bennie Goodman oder Duke Ellington mit extremer Ökonomie Spannungsakzente. 19 Uhr, gleich nebenan auf der SWR1-Bühne: Bei den Roxx Busters aus der Eifel brodelte es sowohl auf der Bühne wie auch im Publikum. Rappelvoll war der Prometheusplatz jetzt schon. Die Titel des Klassik-Rocks der 70er bis 90er Jahre katapultierte die Band mit ungeheurer Energie in den Himmel, als hätte sie Flügel wie einst Prometheus. Richtig auf Touren brachte Sänger und Gitarrist Frank Rohles die Fans, der den Rock aus tiefster Kehle heraus brüllte und dessen Gitarrensound an beim Start kreischende Flugzeug-Triebwerke erinnerte. Im Laufschritt ging’s anschließend zur einen Kilometer entfernten Westpfalz-Arena. Hier sorgten die Habachtaler aus dem südlichen Kreis Kusel mit unbändiger Spielfreude für eine tolle Stimmung. Tolle Bläser, tolle Sänger. Helene Fischer würde vor Neid erblassen. Herrliche Atmosphäre im Grünen. Auch hier herrschte ein Kommen und Gehen. Zum Ausruhen keine Zeit. Zurück zur RPR1-Bühne am Netto-Parkplatz. Tausende Zuschauer drängelten sich hier zusammen. Wer zum Hip-Hop von Bahnhof Soul bewegungslos verharrte, musste entweder taub oder tot sein. Zu den wuchtigen Bass-Patterns als Hauptschlagader sang ein Typ, der Jan Delay wie ein Abziehbild ähnelt. Oder war er es wirklich? Das Publikum jedenfalls brachte er ganz schön auf Touren. Und wieder zur Westpfalz-Arena, wo die Lauterer Brass Machine unter Leitung von Jens Vollmer für unvergleichliche Stimmung sorgte. Sensationelle Staccati der Bläser und drei Sängerinnen und Sänger brachten das Publikum dermaßen auf Touren, dass Hunderte vor der Bühne exzessiv die Becken schwangen. Wer kann auch bei diesen Stimmen, die den Himmel wie ein Nebelhorn aufreißen, still sitzen bleiben. Das Gedränge wurde mittlerweile immer dichter. Mit Mühe und Not musste man sich zur RPR1-Bühne durchquetschen, wo die 275er eine Hip-Hop-Battle losfeuerten. Diese Zungenakrobaten heizten den jugendlichen Fans ordentlich ein, wobei sie auf einem Gerüst mit zwei Etagen rumturnten. Zur SWR1-Bühne durchzukommen, war mittlerweile ein Problem. Die Polizei hatte den Durchgang abgesperrt, weil der Platz überfüllt war. Hier trafen die Baseballs mit dem Rock’n’Roll der 50er und 60er Jahre, den sie mit aktuellen Sounds aufpolieren, voll ins Schwarze. „Ganzkörper-Bewegungstraining“ machten die Jungs mit den Zuhörern. Und die machten mit, dass der Schweiß nur so lief. Letzte Station: Kool Savas auf der RPR1-Bühne. Hunderte von Jugendlichen standen vor der Absperrung und kamen nicht mehr durch. Nur mit viel Überredungsgabe ließ der Polizist den Schreiber dieser Zeilen durch. Und es lohnte sich. Der 45 Jahre alte Savas Yurderi, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, ist einer der gefragtesten Rapper der deutschen Szene und so richtig bekannt geworden durch sein Projekt mit Xavier Naidoo. „Kalter Krieger“ heißt sein Name auf Deutsch übersetzt. Dabei ist er ein heißer Zungenakrobat mit rasantem Sprechwerkzeug. Die Verschränkung von Sprechgesang und Begleitpatterns, die noch bei 100 Metern Entfernung in den Magen fuhr, sowie die Tempowechsel im Vortrag machten seine Stimme zum Soloinstrument, das sportlich trainiert ist und Vergleiche zu Jimi Hendrix durchaus zulassen. Hut ab! Zumal der Vegetarier auch sehr sozialkritisch in seinen Texten ist. Inzwischen ist es Mitternacht. Endlich geschafft. Dass das Kreuz vom langen Stehen nicht durchgebrochen ist, ist ein Wunder.

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