Zweibrücken Pflegeeinrichtungen sprechen sich gegen Sex auf Rezept aus

91-93514086.jpg

Wie Menschen mit Einschränkungen ihre Sexualität ausleben können, darüber müsse gesprochen werden. In der Praxis sei Sex auf Rezept kaum denkbar.

So lautete der Tenor bei einer Umfrage in hiesigen Pflegeeinrichtungen. Es ging um die Forderung der pflegepolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Elisabeth Scharfenberg, dass Betroffenen der Sex mit Prostituierten bezahlt wird. Sehr offen informierte Andrea Schantz, Leiterin des Seniorenheims der Arbeiterwohlfahrt am Rosengarten: „Bei uns leben erwachsene Menschen, die ihre Gefühle ausleben können wie sie wollen.“ Wenn ein Bewohner es wünsche, stelle man diskret Kontakt zu Prostituierten her, die das Haus besuchen können. „Allerdings empfinden wir sexuelle Dienstleistungen auf Rezept als wenig wertschätzend und würdevoll“, so Schantz. Sie frage sich, wie eine solche Verschreibung aussehen sollte. „Was würde da dann draufstehen? Dreimal wöchentlich? Dreimal monatlich?“ Ein solches Vorgehen sei kaum praktikabel. Schantz: „Wir haben nichts gegen sexuelle Kontakte in unserem Haus, hier wohnen ja auch Pärchen.“ Sex auf Rezept, finanziert von der Allgemeinheit, lehne sie aber ab. „Wir müssen uns mit dem Thema befassen“, sagt Nina Leibrock, Leiterin des Altenheims Haus Sarepta in Contwig. Der Anteil an männlichen Bewohnern habe extrem zugenommen, und sie beobachte, dass viele von ihnen sexuelle Bedürfnisse haben. „Die suchen den Kontakt zu Frauen, Mitbewohnerinnen, aber auch Pflegekräften“, so Leibrock. Auch Übergriffe blieben nicht aus, weibliches Pflegepersonal sei mit Grapschereien konfrontiert. Leibrock hält nichts davon, das Thema totzuschweigen. „Wir müssen uns darauf einstellen und Konzepte für Sexualität im Pflegeheim erarbeiten.“ Leider sei man da bundesweit noch nicht weit. Im Haus Sarepta sehe man es so: „Jeder darf bis zuletzt selbstbestimmt leben, auch wenn er dement oder bettlägerig ist.“ Sie sei bereit, diskret Kontakt zu Prostituierten herzustellen, so Leibrock. Allerdings sollten die Bewohner die Kosten selbst tragen. „Es gibt Dinge, die tausendmal wichtiger sind, etwa Hüftprotektoren, und die bezahlt die Kasse nicht.“ „Sexuelle Bedürfnisse haben keine Altersgrenze und sind auch im Heim kein Tabuthema.“ Das sagt Raphael Baumann, Leiter des Pflegeheims Johann-Hinrich-Wichern-Haus. Auch unter Bewohnern komme es zu sexuellen Kontakten. „Ob aber ein Bedarf nach bezahlter sexueller Dienstleistung etwa aus der Pflegekasse besteht, ist eine politische, keine moralische Entscheidung.“ In den Niederlanden könnten sich Pflegebedürftige die Dienste sogenannter Sexualassistentinnen bezahlen lassen. Baumann: „Ich bin nicht sicher, ob Deutschland dafür liberal genug ist.“ Auch er sieht in der Pflege wichtigere Baustellen und kommt zu dem Schluss: „Das Thema hat seine Berechtigung, aber sexuelle Dienstleistungen sollten nicht von der Allgemeinheit bezahlt werden.“ Dass die ökumenische Sozialstation und ihre Klientel ganz andere Sorgen hat, sagt Pflegedienstleiter Matthias Arnold. Die Trägheit der Kassen sei ein Riesen-Problem, „alles geht nur noch mit Widersprüchen und Klagen“. Das koste viel Zeit und Nerven. Die Patienten seien verunsichert und verzichteten auf Leistungen, aus Angst, sie selbst zahlen zu müssen. Arnold: „Hier sollten die Grünen besser mal Forderungen stellen.“ Bezahlter Sex sei im Pflegebereich kein vorrangiges Thema. „Sexualität hört im Alter nicht auf und gehört selbstverständlich zum Leben“, findet Mario Sauder vom Roten Kreuz, das in Mörsbach ein Pflegeheim betreibt. „Bevor sexuelle Dienstleistungen aber auf Rezept erfolgen, sollten zumindest die grundlegenden pflegerischen Verrichtungen bezahlt werden.“ So müssen laut Baumann viele Medikamente von Patienten selbst finanziert werden, „und sogar der Wechsel eines Blasenkatheters ist ein aufwendiger Verwaltungsakt, der nicht immer bezahlt wird“. Aus seiner Sicht wären die ordnungsgemäße Versorgung der Patienten und die Nachwuchsförderung bei Pflegekräften wichtiger „als dass pflegeunkundige Politiker Luftschlösser bauen“. Das Ausleben der Sexualität sei auch für Behinderte und Pflegebedürftige wichtig, sagt Fred Konrad als Vertreter der hiesigen Grünen. Er selbst betreue Einrichtungen für Behinderte und kenne Betroffene, die bis nach Frankfurt fahren zu Prostituierten, die bereit sind, Behinderte als Kunden zu empfangen. Es gebe aber auch Ehrenamtliche. „Wir sollten uns die Frage stellen, was mit Menschen mit Einschränkungen und ihrer Sexualität ist. Nicht zuletzt weil die, die heute diskutieren, in 20 Jahren vielleicht dasselbe Problem haben werden“, sagt Konrad. Auf Sexualität wolle niemand verzichten, wenn er körperlich dazu in der Lage ist. Als Mediziner sehe er Sex auf Rezept aber sehr kritisch, „allein schon, was die Abrechnung angeht, wie soll das gehen, wem steht was zu, wer prüft, wer ist zuständig?“

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x