Rheinland-Pfalz Ohne Blaulicht

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Mainz (ros). Der Schwertransporter hatte tonnenschwere Flügelteile für ein Windrad geladen. In Weinolsheim, einer 680-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Mainz-Bingen, blieb der sperrige Brummi stecken. Nichts ging mehr. Es war der 12. November, 22.30 Uhr. Die Weiterfahrt war erst möglich, nachdem an einem Haus eine Gebäudeecke und ein Teil des Daches mit Kettensäge und Vorschlaghammer aus dem Weg geräumt worden waren. Der Windräderproduzent habe im Vorfeld anhand einer Computersimulation und eines Protokolls versichert, dass man ohne Zwischenfälle durch den kleinen Ort navigieren könne, sagt Ortsbürgermeisterin Gabriele Wagner (CDU). Doch das war eine fatale Fehleinschätzung. Der Ärger darüber sitzt in Weinolsheim immer noch tief. Die rot-grüne Landesregierung setzt konsequent auf die Energiewende – zwangsläufig wurden deshalb in den vergangenen Jahren immer mehr Anlagenteile für Windparks über die Straßen gekarrt. Das ist aber nur einer der Gründe für die Zunahme von Schwertransporten: Knapp 60.000 Anträge für solch sperrigen Fuhren mit Überbreite und Superlänge hatte der Landesbetrieb für Mobilität (LBM) im vergangenen Jahr bearbeitet – rund 55 Prozent mehr als vier Jahre zuvor. Mit jeder Erlaubnis werden üblicherweise mehrere Fahrten zugelassen, teils handelt es sich auch um Dauergenehmigungen. Das Innenministerium in Mainz schätzt daher, dass die Anzahl der tatsächlichen Schwertransport-Fahrten in Rheinland-Pfalz „weitaus höher liegt“ als die Anzahl der bewilligten Anträge. Ist die Fracht zu hoch oder zu breit, sind gar Straßensperrungen oder gesonderte Verkehrsregelungen erforderlich, dann ist die Polizei gefordert. Wie häufig das der Fall ist, wird offensichtlich nicht genau erfasst. Der LBM schätzt, dass in 25 bis 30 Prozent der Fälle die Polizei hinzugezogen werden muss. Das Innenministerium spricht dagegen von nur 5700 Schwertransporten, die Polizeibeamte im Jahr 2013 durchs Land zu losten hatten – bei über 51.000 Genehmigungen in dem Jahr. Dennoch geriet das Thema auf die Tagesordnung, als nach den Anschlägen von Paris Möglichkeiten gesucht wurden, die Polizei angesichts der Terrorgefahr von anderen Aufgaben zu entlasten. Auch der Mainzer Innenminister Roger Lewentz (SPD), derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz, beteiligte sich an solchen Überlegungen. Zu den Vorschlägen gehörte unter anderem, Beamte nicht mehr mit Blutkontrollen von Alkoholsündern zu befassen oder sie nicht mehr zur Begleitung von Schwertransporten einzusetzen. Dies hatte die CDU-Opposition im Landtag schon Monate zuvor gefordert, mehrfach hatte sie mit Anfragen im Parlament nachgehakt. Das rheinland-pfälzische Polizeibeamte zur Verfolgung der seit Jahren zunehmenden Wohnungseinbrüche nicht zur Verfügung stünden, weil sie verstärkt Schwertransporte begleiten müssten, sei „völlig inakzeptabel“, sagt der Südpfälzer CDU-Abgeordnete Martin Brandl. In der Tat hatte die Landesregierung eingeräumt, dass bestimmte Dienststellen von solchen Lotsendiensten besonders stark betroffen sind und deshalb „regelmäßig“ eine Unterstützung durch Kräfte andere Polizeistationen erforderlich ist. In der Pfalz betrifft dies die Polizeiinspektion Kaiserslautern II und die Inspektion Wörth. Ein Ausweichmanöver, das Brandl kritisch sieht: Der hohe Personalbedarf einzelner Dienststellen wegen der vielen Schwertransporte setze eine Verschiebespirale in Gang, Personallücken müssten durch Unterstützungskräfte anderer Dienststellen ausgeglichen werden. Nachdrücklich setzt sich der CDU-Politiker deshalb für eine Ausweitung der Begleitung von Schwertransporten durch Privatunternehmen ein. Das Anliegen ist nicht neu. Bereits 2009 hatte eine ressortübergreifende Bund-Länder-Arbeitsgruppe Vorschläge zur Entlastung der Polizei bei Schwertransporten gemacht. Nordrhein-Westfalen startete dazu 2013 ein Pilotprojekt, das Thema beschäftigte die Innenministerkonferenz und das Bundesverkehrsministerium. Doch bis heute fehlt es an den rechtlichen Voraussetzungen, um die Polizeibegleitung von Schwertransporten reduzieren zu können. Auch Innenminister Roger Lewentz hält es für sinnvoll, solche Aufgaben künftig Privatunternehmen zu übertragen. Allerdings warnt er vor überzogenen Hoffnungen. Weder die Entlastung bei Alkoholtests noch bei der Schwertransport-Begleitung würden ausreichend sein: „Dadurch werden wir uns nicht sehr nach vorne entwickeln bei der Terrorismusabwehr.“ Gleichwohl soll Rheinland-Pfalz jetzt eine Art Vorreiterrolle übernehmen: Für stark frequentierte Routen will das Ministerium „Regelpläne“ erarbeiten lassen, mit denen die Transportfirmen dann selbst für die Sicherheit sorgen können. Die Handbücher schreiben vor, wo beispielsweise die Absperrung einer Abbiegespur oder das Aufstellen einer Ampel erforderlich ist. Erprobt werden soll dieses Verfahren zur Entlastung der Polizei in den nächsten Monaten im Bereich des Polizeipräsidiums Koblenz; ein erster Erfahrungsaustausch zwischen Polizei und Straßenverkehrsbehörden ist Ende März in der Polizeischule am Hahn vorgesehen. In Weinolsheim, wo die Ortsdurchfahrt Ende November bei einem Windradtransport heftig ramponiert worden war, sieht man die geplanten Neuerungen skeptisch. „Ich glaube nicht, dass das ohne Polizei geht“, sagt Ortsbürgermeisterin Gabriele Wagner. Der Schwertransport damals war ohne Polizeibegleitung unterwegs. Nicht weil die Fuhre als harmlos eingeschätzt worden war, sondern weil die Fahrt durch den kleinen Ort zuvor überhaupt nicht angemeldet worden sei, wie Wagner berichtet. Die Gemeinde warte immer noch auf eine Regulierung der Schäden. Unter anderem musste damals auch eine Straßenlaterne abgesägt werden. Licht spendet an dem Engpass seitdem nur eine provisorische Leuchte.

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