Sport Mit Demut in den Klassiker

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Évian-les-Bains. Bevor wieder alle Zeitungen und Fernsehsender das Thema befeuern, hat Bundestrainer Joachim Löw gestern gleich mal den Feuerlöscher ausgepackt und Klartext geredet: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat keinen Italien-Komplex und freut sich „wahnsinnig“ auf das EM-Viertelfinale gegen die „Azzurri“ am Samstag (21 Uhr) in Bordeaux.

Da war er wieder, der „allercoolste“ von allen Trainern bei der Fußball-Europameisterschaft. Pressekonferenzen sind für einen Coach in einem Turnier natürlich eine zusätzliche Belastung, wohl auch eine unbequeme Pflichtübung. Aber mehr denn je nimmt Joachim Löw bei der EM in Frankreich die Gelegenheit wahr, sehr geschickt Einfluss auf das zu nehmen, was von den über 300 deutschen Journalisten vor Ort in die Heimat transportiert wird. Gestern hatten die Spieler frei, also nahm er sich am Morgen eine Dreiviertelstunde lang Zeit, geduldigst Fragen zu beantworten und zwischen den Zeilen seine Sicht der Dinge rüberzubringen. Er macht das großartig. Und wie immer nippte er dabei genüsslich an einem Espresso. Die Botschaft an alle: Die Gefühlsschwankungen sind ihm einfach etwas zu groß. Dass seine Mannschaft nach dem 0:0 gegen Polen für viele schon so gut wie aus dem Turnier ausgeschieden war, dann aber wieder alles supertoll nach dem 3:0 über die Slowakei war. Da kommt der Badener, der ein Gemütsmensch ist, nicht so ganz mit. Bei allem Respekt vor der Slowakei war es Löw wichtig, zu sagen: „Das war ein Gegner, der nicht der Maßstab war. Den Sieg darf man nicht so hoch hängen. Wir wussten, dass wir die Slowakei schlagen.“ Orientieren muss der Weltmeister sich an Frankreich, an Italien, diesmal nicht mehr an Spanien. Das Gebot der Stunde vor dem Viertelfinale gegen Italien heißt: Bescheidenheit und Demut. Und damit predigt er die gleichen Tugenden wie sein italienischer Kollege. Denn auch Antonio Conte (46) erinnert seine Jungs immer wieder eindringlich daran, dass noch nichts erreicht ist. Löw mag an einem Turnier die Spiele, in denen die klassischen großen Fußball-Nationen aufeinandertreffen. Und damit die Duelle, in denen es den maximalen Stress gibt. Dass ausgerechnet Italien der erste Prüfstein der Kategorie A sein wird, ist Schicksal. Denn es ist die Mannschaft in Löws Trainerkarriere, mit der er die bittersten Niederlagen verbindet. Zum einen war er Jürgen Klinsmann Co-Trainer, als das „Sommermärchen“ bei der WM 2006 in Deutschland ein schmerzhaftes Ende durch die 1:2-Halbfinal-Niederlage nach Verlängerung in Dortmund gegen die Italiener nahm. Zum anderen war bei der EM 2012 auch im Halbfinale gegen Italien Schluss (1:2), als der italienische Skandalstürmer Mario Balotelli das Spiel seines Lebens machte und mit einem Doppelpack die Partie entschied. Wenn man gegen Italien einmal 0:2 zurückliegt, dann weiß man eben, „dass es schwer wird“, meinte Löw, weil sie verteidigen können, „und den Ball dann auch mal auf die Tribüne jagen und dabei auch noch lächeln“. Wer am Samstag nach dem Abpfiff zufrieden lächeln wird, ist offen. Aber von einem Italien-Fluch will Löw nichts wissen, weil die Karten vollkommen neu gemischt worden sind. Unter Conte attestierte der Weltmeister-Trainer dem Gegner eine Fortentwicklung: Über den Catenaccio hinaus habe Italien nun auch ein ansehnliches Offensivspiel.

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