Rheinpfalz Leitartikel: Hässliche Fratze

Hassparolen auf Netzwerken wie Facebook und Twitter sind ein ernsthaftes Problem. Die Lösung den Internet-Konzernen zu überlassen, wie es der Justizminister tut, ist ein fragwürdiger Weg. Der Appell allein an die Verantwortung der Betreiber der Plattformen genügt nicht.

Die Dimension ist gewaltig: 100.000 Inhalte mit sogenannter Hassrede will Facebook gelöscht haben – innerhalb des vergangenen Monats und allein in Deutschland. Diese Zahl gab der US-Internetkonzern diese Woche bekannt, und sie verdeutlicht, wie Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierungen und Hetze um sich gegriffen haben. Es kann Politiker treffen, Journalisten und genauso normale Nutzer. Facebook, Youtube, Twitter & Co. zeigen bisweilen eine hässliche Fratze. Die Politik hat das Problem schon länger erkannt. Justizminister Heiko Maas stellte am Montag einen direkten Zusammenhang zwischen der Zunahme politisch motivierter Straftaten und einer Verrohung der Sprache her. „Erst kommen die Worte, dann folgen die Taten“, sagte der SPD-Politiker. Aber zieht er aus dieser Erkenntnis auch die richtigen Schlüsse? Anlass seiner Rede war der erste Jahrestag der Einsetzung einer Arbeitsgruppe gegen Hassrede. Mit den drei genannten großen Internetakteuren wurde vereinbart, dass sie bessere Meldemöglichkeiten für strafrechtlich relevante Inhalte schaffen sowie auffällige Kommentare und Ähnliches schneller löschen. Diese freiwillige Selbstverpflichtung wird als Erfolg gepriesen, selbst wenn die Bilanz nach einem Jahr durchwachsen ausfällt. Die Vorgehensweise bringt einige Schwierigkeiten mit sich. Zunächst ist die Wortschöpfung Hassrede inhaltlich gar nicht klar definiert und überdies kein eigener Straftatbestand. Hinzu kommt die mangelnde Transparenz der Unternehmen. Facebook nannte mit den 100.000 Löschungen überhaupt erstmals eine Zahl. Wie viele beanstandete Beiträge insgesamt dem zugrunde liegen, bleibt ein Geheimnis. Ebenso liegt im Dunkeln, wie viele Angestellte mit dem Löschen beauftragt sind und nach welchen Kriterien sie dabei genau vorgehen. Die Spielregeln bestimmen die rechtlich schwer zu greifenden US-Konzerne. Wohin das führen kann, zeigte ein Vorfall vor wenigen Wochen. Da wurde ein historisches Bild aus dem Vietnamkrieg gelöscht, weil darauf ein unbekleidetes Kind zu sehen ist und die Darstellung von Nacktheit gegen die Grundsätze der Facebook-Gemeinde verstößt. Andererseits bleiben übelste Sprüche online, weil das Prinzip der Meinungsfreiheit hochgehalten wird. Reine Willkür? Unter solchen Bedingungen ist es jedenfalls fragwürdig, gewissermaßen hoheitliche Aufgaben zu privatisieren. Der Staat begibt sich in gefährliche Abhängigkeit von Unternehmen, die an Profit und nicht am Gemeinwohl orientiert sind. Der Justizminister macht zwar regelmäßig öffentlichkeitswirksam Druck, aber der Appell an die Verantwortung der Plattformen – die im Unterschied zu Zeitungen oder Fernsehsendern nicht für die von ihnen zugänglich gemachten Inhalte haften – genügt nicht. Die Netzwerke haben große Bedeutung für die gesellschaftliche Diskussion erlangt, sind ein relevanter Faktor der demokratischen Kultur. Sie selbst bleiben, schon aus Imagegründen, auch nicht ganz untätig. Gut und wichtig zudem, dass sich verschiedenste Gruppen mit dem Problem der Hassrede beschäftigen. Durch soziale Kontrolle allein wird man es jedoch nicht aus der Welt schaffen. Es ginge ja anders: Im Juli startete das Bundeskriminalamt eine gezielte Aktion gegen Hassbotschaften, bei Razzien wurden 60 Verdächtige festgenommen. Vorwurf zumeist: Volksverhetzung. Mehr als ein Warnschuss ist das indes nicht. Für ein nachhaltiges Agieren im Internet fehlen den Strafverfolgungsbehörden die Ressourcen.

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