Politik Leitartikel: Der menschliche Faktor

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Die Ursache des Flugzeugunglücks in den französischen Alpen lässt sich nun

benennen. Das verringert den Schmerz der Hinterbliebenen nicht. Nach der Trauerarbeit muss nach Schwachstellen in der Sicherheit gesucht werden.

Als wäre die Tragödie nicht schon groß genug: Nicht ein technischer Fehler hat den Airbus der Germanwings ins Verderben gerissen, auch nicht das unkalkulierbare Wetter, sondern der Absturz wurde offenbar bewusst herbeigeführt. Aus welchen Motiven der junge Mann handelte, der erst am Anfang seiner Pilotenlaufbahn stand, ist nicht bekannt. Aber wäre der Gedanke, dass 150 Menschen noch leben könnten, wirklich leichter zu ertragen, wenn wir Aufschluss bekämen über die Beweggründe des Copiloten? Wohl nicht. Dass die Ursache des Unglücks nun einen Namen trägt, dürfte den Schmerz der Hinterbliebenen nicht lindern. Im Gegenteil: Dass der Absturz vermeidbar gewesen wäre, kann zu einem besonders quälenden Gedanken werden. Er wird auch jene belasten, die den jungen Mann aus dem Westerwald ausgebildet und eingestellt haben. Waren die Eignungstests ausreichend, werden sie sich fragen, oder müssen Menschen, die eine so hohe Verantwortung für das Leben der Passagiere tragen, nicht regelmäßig überprüft werden? Ob sich der Unglückspilot tatsächlich in einer seelischen Ausnahmesituation befand, als er seinen Sitz im Cockpit einnahm, werden die Untersuchungen zu klären versuchen. Darüber zu spekulieren, ist zwar verständlich, weil das Unglück in den französischen Alpen niemanden kaltlässt und viele Fragen aufwirft. Aber Spekulationen auf dürftiger Grundlage bergen auch die Gefahr großer Verunsicherung. Das haben die ersten 48 Stunden nach dem Absturz gezeigt. Mit mehr oder weniger großer Überzeugungskraft entwickelten Experten Hypothesen über den möglichen Hergang des Unglücks. In der Regel wiesen die Fachleute darauf hin, dass sie nur über Fälle aus der Vergangenheit berichten konnten und nur ungern Rückschlüsse auf den aktuellen Fall zögen. Dennoch stand der A 320 rasch als scheinbares Problemflugzeug am Pranger und die „Billigfluglinie“ gleich mit. Aktionäre trennten sich schon vorsichtshalber von ihren Lufthansa-Papieren. Ein tragischer Einzelfall, der sich nie wiederholen soll  Dass sich der Verdacht auf einen Konstruktionsfehler nicht bestätigt hat, wird Hersteller und Fluggesellschaft nun ein wenig beruhigen – und ebenso die vielen Passagiere, die täglich Flugzeuge dieses Typs besteigen. Trotzdem wäre es falsch, einfach zum Tagesgeschäft überzugehen, nachdem man die Toten geborgen und beweint hat. So sehr der Airbus-Absturz vom Dienstag die Züge eines tragischen Einzelfalls trägt, wie er sich hoffentlich niemals wiederholen wird, so deutlich zeigen sich auch Schwachstellen in der Sicherheit. Um die Gefahr von Entführungen zu verringern, wurde das Cockpit abgeschottet. Erst dadurch aber ist die Situation im Germanwings-Flugzeug prekär geworden. Hier ist möglicherweise eine bessere technische Lösung denkbar. Schwieriger ist es mit dem menschlichen Faktor. Das Berufsbild des Verkehrspiloten hat sich verändert. Belastungen und Stress haben zugenommen. Obwohl die Technik dem Piloten viele Handreichungen abnimmt, sind die Entscheidungen im Cockpit deswegen nicht leichter zu treffen. Die Verantwortung für einen mit Passagieren voll besetzten Jet kann dem Piloten ohnehin niemand abnehmen. Ein Flugzeug zu steuern, gilt immer noch als Traumberuf. Der junge Copilot, der sich am Dienstag in Barcelona ins Cockpit setzte, hat diesen Traum schon als jugendlicher Segelflieger geträumt. Was es war, das seinen Traum zerstörte, wird sich vielleicht nie ergründen lassen. Wie jede Sicherheit nur relativ ist, so gibt es nicht auf alle Fragen eine Antwort. MEHR ZUM THEMA

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