Kaiserslautern Höhenretter am Humbergturm

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Es ist wie im Märchen, nur andersrum: Rapunzel hängt am Turm, ihr Haar hat sich verfangen, sie kann sich nicht befreien. Da steigt Prinz Sebastian vom Turm herab. Dass ein Feuerwehrmann einmal ihr Retter sein würde, davon hätte RHEINPFALZ-Redakteurin Maria Huber nicht einmal geträumt.

„Person in mein System übernommen. Das Seil des zu Rettenden wird gekappt“, meldet Sebastian Hornef per Funk an Benjamin Owsianik, den Ausbilder der Höhenretter der Feuerwehr Kaiserslautern. Klingt nüchtern, und ich hoffe, er weiß genau, was er da tut. Ich bin heute Opfer, spiele eine Szene nach, die sich vor einiger Zeit tatsächlich im Steinbruch von Niederkirchen abgespielt hat. Eine Kletterin hat sich mit ihren langen Haaren im Abseilachter verfangen und konnte sich nicht mehr befreien. „Wir haben uns dann zu ihr vorgearbeitet, die Haare und die Seile abgeschnitten und sie befreit“, schildert Höhenretter Martin Engel, was gleich passieren wird. „Die Haare bleiben dran“, verspricht er. Ganz ungefährlich sieht das Ganze trotzdem nicht aus. Ich hänge etwa auf halber Höhe des Humbergturms, in einem Bein- und Brustgurt, den mir Owsianik angelegt hat, gesichert durch ein lila Seil, das oben am Turm befestigt ist und gleich gekappt werden soll. Hornef hat sich von seinen Kollegen oben auf der Plattform abseilen lassen, schwebt jetzt knapp über mir. Er zieht mich zu sich, hängt zwei Karabiner, die an seinem Gurt befestigt sind, an meinem ein. Ich werfe einen kurzen Blick nach unten: weit weg, die Wiese. Mindestens 20 Meter würde ich fallen. Ein paar Spaziergänger linsen gespannt nach oben, was gleich passiert. Ich mustere meinen potenziellen Retter, der gerade ein Messer zückt. „Ein Seilmesser“, wird er mir später erklären und anfügen, dass das demnächst ausgemustert wird, weil sich bei einem Feuerwehrmann die Schutzhülle gelöst hat, er beim Übersteigen versehentlich die Seile gekappt hat, die ihn halten sollten. Gefährlicher Job für die Jungs. Meiner fühlt sich auch nicht gerade ungefährlich an. „Das Seil des zu Rettenden wird gekappt“, schickt Hornef jetzt per Funk nach oben. Was dann passiert, sehe ich wie in Zeitlupe. Der Feuerwehrmann setzt das scharfe Messer an, zieht die Klinge über das Seil, und dann passiert das, was für jeden Kletterer ein Alptraum ist: Der Strick ist durch, schnellt mit einer Wahnsinnswucht fast bis zur Brüstung des Turms hoch. Eigentlich müsste ich jetzt nach unten fliegen, aber ich hänge sicher am Gurt von Sebastian Hornef. Er kappt das zweite Seil – ich war, wie es sich gehört, doppelt gesichert –, und sein Kollege oben lässt uns beide langsam ab. Fühlt sich gut an, die Stufen des Humbergturms wieder unter den Füßen zu spüren, auch wenn der Blick von oben aus der Luft gigantisch war. Für Hornef waren die knapp 40 Meter vom Turm nicht wirklich hoch. „Höhenangst habe ich nicht, eher Respekt“, sagt er. „Wenn man fällt, ist es egal, ob aus 20 oder 150 Meter“, meint er zwar, gibt aber zu, dass der Respekt auf einem 150 Meter hohen Windrad, auf dem die Spezialkräfte der Feuerwehr immer wieder mal Retten üben, schon noch größer ist. Auch Benjamin Owsianik gibt zu, dass ihn ein Windrad schon einmal an seine Grenzen gebracht hat. Die Höhenretter wurden gerufen, als ein Monteur einen Schlaganfall hatte und von der Spitze des gerade installierten Bauwerks geholt werden musste. Der Aufzug war noch nicht eingebaut, und das Team musste die senkrechte Leiter mit sämtlicher Ausrüstung hoch. „Oben hat sich das Windrad immer wieder gedreht, und wir mussten den Patienten durch ein ein mal ein Meter breites Loch ziehen“, erinnert sich Owsianik an jene Szene, die im Nachhinein einiges bewegt hat. „Wir haben unsere Trage umgebaut, so dass man sie jetzt senkrecht und waagrecht stellen kann, und wir machen regelmäßig Übungen an Windkraftanlagen.“ Überhaupt ist Üben für die Höhenretter extrem wichtig, wie auch Hornef betont. Alle zwei Wochen trainieren die rund 15 Spezialkräfte der Feuerwehr Kaiserslautern. 80 Übungsstunden pro Jahr sind vorgeschrieben. Auch um das komplizierte Handling der unterschiedlichsten Materialien nicht zu verlernen. Gurte, Schlaufen, Seilwinden, Karabiner, Schleifkorbtrage, Sägen sind im Spezialfeuerwehrbus verstaut, mit dem die Helfer das machen, was Hornef liebt: „Wir werden gerufen und wissen nicht, was uns erwartet.“ Das kann ein Gleitschirmflieger sein, der sich im Baum verfangen hat, ein Arbeiter, der aus einem Schacht gerettet werden muss, ein Fensterputzer, dessen Sicherung sich verhakt hat. Es kann darum gehen, wie beim Brand im Hahnenfass, Feuerwehrleute zu sichern, die in den Dachresten turnen und von oben versuchen, mit dem Wasserschlauch an die Glutnester zu kommen. Es kann bei einem Unwetter sein, wenn der Sturm droht, Teile des Dachs abzureißen. Es kann darum gehen, jemanden vom Selbstmord abzuhalten. Es können abgestürzte Wanderer auf unwegsamem Gelände sein – oder eben eine Kletterin, die sich mit den Haaren im Sicherungsgerät verfangen hat, hilflos in der Luft hängt und auf den Retter mit dem Messer wartet – fast wie im Märchen. |huzl

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