Rheinpfalz Hochspeyer: Eritreer diskutieren über Heimatland

Rund 800 000 der 6,3 Millionen Eritreer leben im Ausland – 60 000 davon in Deutschland. Knapp 300 von ihnen trafen sich in Hochspeyer. Es ging um den Umgang mit dem Schreckensregime.

Sie fliehen vor Armut und Unterdrückung – und werden dann gezwungen, das diktatorische System weiter zu finanzieren: durch eine „Aufbau-Steuer“. Eritreer in aller Welt zahlen zwei Prozent ihres Einkommens an die eritreische Regierung. Wenn sie es nicht tun, erhalten sie von ihrem Geburtsland weder einen neuen Pass noch offizielle Dokumente. Eritrea wird von den Vereinten Nationen scharf kritisiert – wegen der Verletzung von Menschrechten und weil das totalitäre Regime die Opposition der Nachbarstaaten unterstützt, darunter militante Gruppen wie Al Shabab. Negede Tesfamariam und Tecle Ghebregergis sind engagierte Exil-Eritreer. Tesfamariam lebt und arbeitet bei Kaiserslautern, Ghebregergis, nach eigener Aussage ein ehemaliger Befreiungskämpfer, lebt in Nidderau bei Frankfurt/Main. Vor Kurzem haben beide im westpfälzischen Hochspeyer einen internationalen Kongress für Eritreer in der Diaspora organisiert – erstmals für Deutschland. „Unser oberstes Ziel ist die Befreiung Eritreas von der jetzigen Übergangsregierung und das Etablieren einer demokratischen Verfassung“, sagt Ghebregergis. Aus einem Bericht der Vereinten Nationen vom Mai 2016 geht hervor, dass in Eritrea schwere Menschenrechtsverletzungen fortbestehen, die bereits in den Jahren davor dokumentiert wurden. Eritreer sind weiterhin zu Militärdienst unbestimmter Länge zwangsverpflichtet, an der Tagesordnung seien willkürliche Inhaftierungen, Folter, Verschleppungen, Repressalien für das angebliche Verhalten von Familienmitgliedern, Diskriminierung aus religiösen und ethnischen Gründen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt sowie Tötungen. Darüber hinaus werden viele der Menschen, die in der Vergangenheit gewaltsam verschleppt wurden, dauerhaft vermisst. Ein bestimmendes Thema des Kongresses in der Pfalz sei die auch im Exil allgegenwärtige Furcht vor Einschüchterung gewesen, berichten die Organisatoren. Nach dem Motto „Ich weiß, wo deine Familie wohnt“, würden Exil-Eritreer, die die zweiprozentige Abgabe nicht zahlen wollten, mit Übergriffen bedroht. Auch Enteignungen und Einreiseverweigerungen seien an der Tagesordnung. Der lange Arm des Regimes reiche gar bis nach Hochspeyer, behaupten die Organisatoren . So hätten Unbekannte vor dem Treffen versucht, im Ort Informationen über die Veranstalter einzuholen. „Unser größter Wunsch ist es, unsere Landsleute zu motivieren und Wege aufzuzeigen, ohne Angst leben zu können“, sagt Tesfamariam, der im Juni in Genf für Tausende Exil-Eritreer eine Demonstration vor dem Genfer UN-Sitz organisiert hatte. Ein dreitägiges Programm wurde in Hochspeyer den knapp 300 Teilnehmern geboten, die aus Deutschland und anderen europäischen Staaten, Kanada, Neuseeland und Australien angereist waren. Im Plenum sei über die unterschiedlichen Vorstellungen der älteren und der jüngeren Generation debattiert worden, wie mit dem Regime in Eritrea umgegangen werden solle. Ehemalige Befreiungskämpfer und vor 1993 Geborene hätten demnach das Gefühl, ihr Erbe der Befreiung Eritreas würde nicht in ihrem Sinne fortgeführt. Jüngere Eritreer machten die Generation ihrer Eltern verantwortlich für die Entstehung des autoritären Regimes und dessen Fortbestehen – sie fühlen sich zunehmend hilflos. In Workshops ging es aber auch um Themen wie Integration und Fluchtursachen. Ursprünglich stand für die Versammlung in Hochspeyer auch die Wahl einer Exilregierung auf der Agenda. Die Teilnehmer hätten sich jedoch in einer Abstimmung dagegen entschieden, hieß es danach. „Wir wollen die politische Arbeit den politischen Parteien überlassen“, erklärt Ghebregergis der PZ am SONNTAG. In den nächsten sechs Monaten will man sich nun an einem anderen Ort zu einem zweiten, noch größeren Kongress treffen.

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