Rheinpfalz Grumbeeren ernten, fast wie früher

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Drei weiße Sonnenschirme stehen aufgespannt am Feldrand. Darunter sitzen die 24 Senioren des Zoar Kusel. Ihre Betreuerin spielt „Fliege mit mir in die Heimat“ auf dem Akkordeon, während sie sich von der Kartoffelernte ausruhen. An diesem Mittwochmittag erreicht das Thermometer oben beim Fernsehturm in Reichweiler 25 Grad - im Schatten. Die Luft steht, der Geruch von trockenem Gras zieht in die Nase. Der Himmel ist so wolkenlos, wie im ganzen September bisher. „Die Sonne macht uns Probleme, wir müssen aufpassen, dass uns keiner umkippt“, warnt Jutta Kunz, Leiterin des Zoar.

Von 10.30 Uhr bis 11 Uhr hatten die Senioren bereits die erste Runde Kartoffeln eingesackt. Die Stühle, die jetzt unter den Schirmen stehen, waren da noch auf der trockenen Erde im Feld aufgereiht. Während einige Senioren die vorgerodeten Kartoffeln auflasen, füllten die anderen im Sitzen die Ernte von den Körben in die Säcke um. „Hier wird noch mit der Hand selbst geerntet“, freut sich Irene Molter. Die 86-Jährige schaut von ihrem Schattenplatz aufs Feld und hat vor Augen, wie das war, als sie mit ihrer Mutter zur Ernte ging: „Wir haben uns eine Kanne Kaffee und etwas Brot mitgenommen und dann die Grumbeeren auf dem Feld gehackt.“ Schon mit zwölf Jahren habe sie angefangen auf den Acker zu gehen. Für Jutta Kunz hat sich damit genau der Effekt eingestellt, den sie erreichen wollte. „Das ist eine Aktivierungsmaßnahme, die sich an den Biografien unserer Bewohner orientiert.“ Jeder habe hier Bezug zur Landwirtschaft und die Frauen haben sich für den Tag extra Kittelschürzen und Kopftücher angezogen. Was sich zunächst witzig anhört, hat einen ernsten Hintergrund: „Wir haben Demenzkranke, die an normalen Tagen kaum aktiv sind. Aber hier packen sie mit an und jeder Handgriff sitzt. Sie erinnern sich an die Arbeit.“ Kunz kennt den Effekt von der Heuernte, die im vergangenen Jahr veranstaltet wurde. Plötzlich ist auch der Appetit der Bewohner da, die sonst wenig essen. Im Sinne der Tradition werden zum Mittag um 11.30 Uhr Kaffee, Brot mit Latwerge und Wurst serviert. Wasser darf bei der Hitze auch nicht fehlen. Unter Laubbäumen, geschützt vor der Sonne, haben die 19 Betreuer des Zoar Tische gedeckt. Die Wiese an der Stelle hatte Kunz extra selbst gemäht. Eingeladen zum Essen ist auch Bauer Kornelius Burgdörfer-Bensel, dem der Acker gehört und der heute den Rest des Feldes mit seinen Helfern erntet. Als Kunz anfragte, ob die Aktion möglich sei, hat er direkt zugesagt. Burgdörfer scherzt, dass das vermutlich das höchste Kartoffelfeld der Pfalz sei und fügt hinzu: „Der Boden ist weniger geeignet für den Anbau, aber die Qualität der Pflanze hier ist so gut, dass es sich lohnt.“ Der Landwirt betreibt seinen Biohof seit 30 Jahren und lebt fast nur vom Direktvertrieb. Von den Senioren kriegt er aus Dankbarkeit beim Essen Applaus. Die Kartoffeln dürfen sie behalten und in der Einrichtung verwerten. Eine Runde haben sie noch vor sich. Bewohner Kreutz, 89, hatte früher selbst ein Ar, 100 Quadratmeter, Land in Blaubach. Drei bis vier Tage hätten sie zu dritt gebraucht für die Ernte. So heiß sei der September damals aber nicht gewesen. Er läuft am Stock und gestützt von den Betreuern über den Acker zu seinem Stuhl. Sitznachbar Trumm, 68, erinnert sich an das traditionelle Grumbeerfeuer nach der Ernte: „Mit dem Kartoffelkraut wurden das Feuer angezündet und die ersten Kartoffeln geröstet“. Wegen Brandgefahr fällt das heute leider aus. Um 12.30 Uhr sind die Knollen bereits alle aufgelesen, zum Bedauern von Irene Molter: „Das ist heut’ noch alles in mir drinnen, wenn ich nur könnt’ wie ich wollt’“, ruft sie lachend über das Feld, gestützt vom Betreuer. Während das Akkordeon noch ein bisschen spielt, werden die Schirme schon wieder abgebaut.

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