Rheinland-Pfalz Gespenstische Leere auf der Schiersteiner Brücke

Vor eineinhalb Jahren brachte der Geisterbahnhof die Landeshauptstadt in die Schlagzeilen, in den sich der Mainzer Hauptbahnhof

durch Personalengpässe beim Stellwerk verwandelt hatte. Nun ist es die gesperrte Brücke nach Wiesbaden, über die sonst 90.000

Fahrzeuge am Tag rollen. Ende des Monats soll sie repariert sein, doch in den nächsten Jahren drohen geplante Engpässe.

Von Karin Dauscher Mainz. Architektonisch unauffällig, notorisch verstopft und immer für eine Aufregung gut: die „Schiersteiner“, wie sie in der Region genannt wird, bewegt Mainzer und Wiesbadener seit Jahrzehnten. Linksrheinisch ist das Brückenbauwerk nicht ohne den Streit um den „Mainzer Ring“ zu denken, der sich – bestehend aus Autobahnabschnitten der A 643, A 60 und A 671– wie ein Ringel Fleischwurst um die Fasnachtsmetropole legt. Am 10. Februar gegen 22 Uhr wurde es richtig ernst. Bei Bauarbeiten geriet ein Pfeiler der Vorlandbrücke bei Mainz-Mombach in Schieflage, ein Lager sprang heraus und die Fahrbahndecke senkte sich um 20 Zentimeter. Die Schließung der Brücke zwang die Fahrer von täglich 90.000 Fahrzeugen, Alternativen zu suchen. Mit Fähren, einer Verstärkung des Schienenverkehrs und anderen Mitteln wurde so gut es ging Abhilfe geschaffen. Ab Ende März, so kündigt es Verkehrsminister Roger Lewentz (SPD) an, sollen Autos und Transporter mit bis zu 3,5 Tonnen wieder auf die Brücke fahren können. Vor zehn Jahren wurde die Restnutzungszeit der Schiersteiner Brücke auf das Jahr 2015 datiert. Der Mainzer CDU-Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner überbrachte die Botschaft. Weil die Brücke erst wenige Jahre zuvor für über 20 Millionen Euro generalsaniert worden war, klangen die Worte zunächst nach Wahlkampf. Waren sie aber nicht – oder wenigstens nicht nur. Es waren die Ergebnisse einer technischen Überprüfung. „Sie fahren oben, wir bauen unten. Deshalb Tempo 60“, steht seitdem auf einem Schild, argumentativ unterstützt von einer Radaranlage. Vor drei Jahren wurde der Planfeststellungsbeschluss erlassen: Sechs Spuren plus Standstreifen sollte die neue „Schiersteiner“ haben, verteilt auf zwei Bauwerke. Das Land Hessen ist für die Planung und den Bau der Brücke zuständig, der Bund ist Auftrag- und Kostenträger. Rheinland-Pfalz muss für die linksrheinische Anbindung sorgen. Das ist nicht einfach. Denn der Weg führt direkt in den „Mainzer Sand“, ein Naturschutzgebiet. Politisch machten sich vor allem die Grünen stark dafür, die A 643, die über die 700 Meter lange Vorlandbrücke mit der Schiersteiner Brücke verbunden ist, nur vier- statt wie geplant sechsspurig auszubauen. Mittels Telematik sollten die Standstreifen bei Bedarf zum Befahren freigegeben werden. „4+2“ lautete die kurze Losung für weniger Flächenverbrauch. Tempo 80 sollte die vorgesehene, bis zu acht Meter hohe Lärmschutzwand vermeiden. Die Wand würde neben dem Lärm auch den für das Klima notwendigen Wind abhalten, kritisiert die Arbeitsgemeinschaft „Nix in den Mainzer Sand setzen“. Wer durch das Naturschutzgebiet spaziert, sieht eine Dünenlandschaft und könnte sich weit weg wähnen – wenn nicht vor Jahrzehnten die Autobahn brutal durch das Gelände gebaut worden wäre und wenn am Rand nicht die Hochhausgebirge der Vororte Gonsenheim und Mombach stehen würden. Am wenigsten beeinträchtigt ist der Mainzer Sand ausgerechnet dort, wo amerikanische Panzer üben dürfen. Nach der Landtagswahl vereinbarten SPD und Grüne 2011 im Koalitionsvertrag, die Möglichkeit einer 4+2-Lösung auszuloten. In Mainz wurde laut gejubelt. Doch Baurecht wurde dafür zunächst nicht beantragt, sondern nur für einen Anbau an die bis vor kurzem noch intakte Vorlandbrücke. In einer S-Kurve soll dort der Verkehr ab 2016 von der neuen Schiersteiner Brücke auf die alte Vorlandtrasse geleitet werden. Mit Tempo 40! Entgegen einer vom Land vorgestellten Machbarkeitsstudie sieht das Bundesverkehrsministerium keinen Spielraum für 4+2, wie Minister Alexander Dobrindt (CSU) jüngst erneut bekräftigt hat. Sein Argument: Der Eingriff in die Natur sei wesentlich von der zusätzlichen Vorlandbrücke bestimmt, die für den Anschluss der neuen Schiersteiner Brücke ohnehin zwingend erforderlich sei. Laut Landesbetrieb Mobilität macht der Unterschied zwischen vier und sechs Spuren auf jeder Seite 2,50 Meter aus. Nun rechnet das Land damit, dass der Planfeststellungsbeschluss für die sechs Spuren, wenn er voraussichtlich Ende 2016 vorliegt, beklagt wird. Das könnte den Bau der neuen Vorlandbrücke bis 2023 verzögern. Die nun beschädigte und bald geflickte alte Vorlandbrücke wird in diesen Jahren arg strapaziert. Die „Schiersteiner“ bleibt deshalb immer für eine Aufregung gut. MEHR ZUM THEMA:

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