Neustadt Friedliche Demonstranten am Hambacher Schloss

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Oben im Hambacher Schloss gibt sich die AfD als einzig wahre demokratische Partei. Unterhalb der Anlage protestieren Bürger und Organisationen gegen Rechtspopulismus. Auf beiden Veranstaltungen wird immer wieder „Die Gedanken sind frei“ gesungen.

Um 19 Uhr liegen schon fünf anstrengende Stunden hinter allen Beteiligten. Schwächeln tut trotzdem keine Seite. Oben im Hambacher Schloss zieht gerade AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry zu den Klängen der deutschen Nationalhymne in den proppenvollen Festsaal ein, stehend spenden Mitglieder und Besucher ihr dann Applaus. Unten auf dem Parkplatz harren noch immer gut 100 Demonstranten aus, auch wenn sich die Reihen gelichtet haben. Sie lauschen Liedern wie „Kristallnacht“ von BAP, buhen und pfeifen jeden aus, der hoch aufs Schloss zieht oder von dort herunter kommt. Dazwischen überall Polizei, freundlich, aber bestimmt. Mindestens zwei Hundertschaften wurden aufgeboten – auch ihr Technischer Einsatzzug ist am Ort, mit forstwirtschaftlichem Gerät, Bagger, Flutlicht und mehr. Von der Beleuchtung abgesehen, muss nichts eingesetzt werden. Der Protest läuft lautstark, aber friedlich ab. Enttäuscht ist mancher darüber, dass Frauke Petry bereits um 14 Uhr oben ist, ihr unten kein Unmut entgegenschlagen kann. Zusammen mit Uwe Junge, dem Vorsitzenden der rheinland-pfälzischen Landtagsfraktion als Ausrichterin der „Herbstveranstaltung“, gibt sie zunächst eine Pressekonferenz. Bilanz nach einem halben Jahr Landtagsarbeit ist angesagt, in die sich die Fraktionsmitglieder „gut eingefunden“ hätten, wie es Junge beschreibt. Natürlich wird auch Petry nicht müde zu betonen, wie gut das Schloss als „eine Wiege der deutschen Demokratie“ zur AfD passe, zu einer Partei, die im Gegensatz zu allen anderen wirklich demokratisch sei. Mit der AfD habe der Bürgerwille endlich wieder eine Stimme, wird es Junge später neben Petry bei der Abschlusskundgebung ab 19 Uhr formulieren. Ihr Wahlerfolg bei den vielen Bürgern, „die sich nicht mit Halbwahrheiten und moralischem Geschwätz abspeisen lassen“, belege das. Schon bei der Pressekonferenz macht die AfD deutlich, wie ernst es ihr damit ist, Anspruch auf die mit dem Hambacher Schloss verbundenen Grundwerte wie Freiheit und Demokratie zu erheben. Ein Musikduo aus Mainz wartet mit Freiheitsmelodien auf, allen voran mit dem Bürgerlied von 1845 und mit „Die Gedanken sind frei“. Letzteres wird auch unten gespielt und mitgesungen, federführend ist die Initiative „Harmonie statt Parolen“. Und noch viele andere Lieder mehr ertönen, die der AfD zwar nur leise in den Ohren klingeln, dafür aber dauerhaft. Die Stimmung bei den Protestierenden ist auf jeden Fall gut. Stark vertreten: die Neustadter SPD, auch ihr Mobil „Rote Bertha“ ist im Einsatz. Trillerpfeifen werden verteilt, Rosinenküchlein, Fahnen. Vom Regionalen Bündnis gegen Rechts eröffnet Rüdiger Stein als Versammlungsleiter die Rednerliste: „Flagge zeigen gegen jene Hetze und Angstmacherei, die die AfD heute auf dem Schloss betreibt“ – der Applaus ist mindestens so groß wie jener für Frauke Petry oben. Die Symbole des Schlosses würden der AfD nicht kampflos überlassen, macht unter anderem Pfarrer Stefan Werdelis deutlich. Denn: „Wer die Botschaft von Schwarz-Rot-Gold richtig verstanden hat, versteht darunter keinen Rückschritt in nationale Kleingeistigkeit.“ Genau deshalb sind Menschen aus vielen gesellschaftlichen Schichten in einem Demonstrationszug von Hambach aufs Plateau marschiert. Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beispielsweise, aus der ganzen Vorderpfalz, aber auch aus Quedlinburg im Harz – alarmiert durch die Berichterstattung, wollen sie „der Frechheit, dass die AfD ins Schloss darf“, die Stirn bieten. „Ist doch klar, dass wir hier sind“, meinen Schüler des Leibniz-Gymnasiums und Mitglieder der Flüchtlings-AG des Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums. Mit ihrer Hetze sei die AfD auch eine Kriegstreiberin, erklärt ein Gymnasiast und hält sein Schild hoch: „Make love, no war!“ Einige ihrer Altersgenossen haben hingegen den Weg nach oben gewählt. Als angemeldete Bürger, die Interesse haben, sich über die Politik der AfD zu informieren, um sich ein Bild davon machen zu können – so, wie es die Fraktion für einen kleinen Teil der knapp 300 Gäste ermöglicht hat. Das nötigt durchaus Respekt hat, auch bei Ordnungsdezernent Georg Krist oder beim stellvertretenden Stadtfeuerwehrchef Markus Kruppenbacher. Beide sind ebenfalls kurzzeitig im Schloss, da auch ihre Mitarbeiter lange Schichten schieben müssen. Respekt nötigt ihnen aber auch der Besitzer der Burgschänke als eigentlich Leidtragender ab: Er habe sein Lokal freiwillig geschlossen und damit allen Sicherheitskräften die Arbeit erleichtert, so Krist. Im Gegensatz zu den jungen Neustadter Schülern muss das Gros der AfD-Gäste hingegen von nichts überzeugt werden – im Grunde also eine ganz gewöhnliche Parteiveranstaltung mit Gelegenheit zum Anfassen. Ganz ignoriert wird der standhafte Protest allerdings nicht. Zumindest spricht die AfD-Vorsitzende Petry dann doch noch davon, dass so etwas „nicht spurlos an einem vorbeigeht“. Dass müsse ein Politiker aber aushalten, solange alles friedlich bleibe. In Neustadt ist genau das der Fall – und damit auch die Polizei am Ende eines langen Tages sehr zufrieden. Südwest

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