Rheinpfalz FKK in der Vorderpfalz: Flaute in der Schweinebucht

Die "Schweinebucht".

Organisiertes Nacktbaden ist schon lange keine Massenbewegung mehr:

Viele FKK-Vereine klagen über Mitgliederschwund. Wegen eines kulturellen Wandels – und weil man auch woanders problemlos Blankziehen kann. Von Daniel Krauser

Manchmal stolpert man fast über die Erkenntnis. Beispielsweise wenn man vom Dammweg am nordöstlichen Ufer des Kollersees bei Otterstadt hinunter Richtung Strand steigt. Achtlos um einen Busch biegt, die Augen aufs Wasser gerichtet. Und fast über die nackte junge Frau fällt, die da unter Gesträuch hingegossen liegt und gleichsam den Beginn eines der berühmtesten Nacktbadestrände der Region markiert. „Das ist hier die ,Schweinebucht’“, bestätigt die junge Frau freundlich, nachdem man sich halbwegs berappelt hat – und schiebt gleich noch einen möglichen Ursprung des Begriffes hinterher: „Hier herrscht meistens Flaute“, sagt die junge Frau, früher in einem der benachbarten Segelvereine aktiv. Was heißt, dass man hier mit seinem Boot oft mit schlaffem Segel festsitzt. Eben so, wie die von den USA unterstützten Exil-Kubaner 1961 bei ihrer gescheiterten Invasion in der echten Schweinebucht. Und so kann man sich täuschen: Eigentlich hatte man immer gedacht, der Name hätte irgendwas mit der moralischen Abwertung des Nacktbadens zu tun... Was als Irrtum wahrscheinlich sogar ziemlich symptomatisch ist: Der Blick auf die Freikörperkultur, eigentlich auf Nacktheit schlechthin, er hat sich in den letzten Jahrzehnten radikal und auf gleichzeitig seltsam widersprüchliche Art gewandelt. Selten zuvor sind Menschen mit so vielen Bildern des nackten menschlichen Körpers konfrontiert worden wie heute, in Filmen und der Werbung. Dazu stellen gerade junge Menschen in sozialen Netzwerken oft bedenkenlos große Teile ihrer Privat- und Intimsphäre öffentlich aus – und trotzdem scheint reale öffentliche Nacktheit zunehmend zu verschwinden. „Die Nackerten im Englischen Garten“ in München „sterben aus“, hat die Zeitung „Die Welt“ vor gut zwei Wochen getitelt. Der Deutsche Verband für Freikörperkultur, Dachverband fürs organisierte Nackigsein, hat Anfang der 2010er-Jahre über einen steten Mitgliederrückgang in seinen Vereinen geklagt. Mittlerweile haben sich die Zahlen stabilisiert: Aktuell sind laut Verband in den bundesweit rund 135 FKK-Vereinen etwa 40.000 Mitglieder organisiert. Zu Hochzeiten der Bewegung waren es um die 100.000 – und da stellt sich die Frage, was da passiert ist, an der textilfreien Front. Kultureller Schlag zurück, ins Kontor, meint Gerhard Jourdan, der Vorsitzende der „Natur- und Saunafreunde Südpfalz“ in Landau. „Die Prüderie fasst immer mehr Fuß“, meint Jourdan, „die jungen Leute kucken sich im Internet mehr Nackte an als wir – aber wenn sie sich selbst ausziehen sollen, dann ist Schluss...“ Dass der gesellschaftliche Umgang mit dem nackten Körper stetigem Wandel unterworfen ist, das kann Jourdan, „mit 75 Jahren einer der Jüngsten“ in seinem Landauer Verein, aus eigener FKK-Erfahrung nachzeichnen: „Der erste Vorsitzende des Vereins hat auf dem Amt gearbeitet – der wäre entlassen worden, wenn das rausgekommen wäre.“ Die Mitgliederzeitschrift des Bundesverbandes, die ist lange Zeit „in einem braunen Umschlag “ gekommen, erinnert sich Jourdan – damit weder Postbote noch Nachbarn auf falsche respektive richtige Gedanken kommen konnten. Abhängig vom Zeitgeist war die Freikörperkultur in Deutschland schon immer – weshalb man am Beispiel des organisierten Freimachens eigentlich deutsche Ideologiegeschichte des 20. Jahrhunderts erzählen könnte. Ihren modernen Ursprung hat die Nacktkultur in der „Lebensreformbewegung“ ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Rückkehr zu einem idealisierten Naturzustand hat man damals angestrebt, angesichts zunehmender Industrialisierung und Verstädterung. Und das zeittypisch deutsch mit starker ideologischer Überfrachtung: Die Bewegung umfasste Diätprogramm und Erlösungsphantasie, förderte den Vegetarismus, die Naturheilkunde und wollte das Frauenkorsett abschaffen. Und hat dabei die Nacktheit als Heilmittel gegen die vermeintliche Degeneration des modernen, in die bürgerliche Uniform von Frack oder Paletot gezwängten Menschen gepriesen. In den Utopien, die mit dem Blankziehen verknüpft sind, zeigen sich früh zwei politische Kennlinien der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts: Bei Richard Ungewitter, zu Beginn des 20. Jahrhunderts Erfolgsautor der Bewegung, trägt die Nacktheit ein Kleid aus völkischem Gedankengut: „Würde jedes deutsche Weib öfter einen nackten germanischen Mann sehen, so würden nicht so viele exotischen fremden Rassen nachlaufen“, schreibt Ungewitter 1913. Für andere frühe Naturisten wie Adolf Koch erledigen sich mit dem Ablegen der Kleidung dagegen die Klassenschranken: „Wir sind nackt und nennen uns Du!“ lautete der Titel eines von Koch herausgegebenen Magazins – Manifest einer Spielart des Naturismus, der sich „aus der Arbeiterbewegung heraus entwickelt hat“, so Klaus Metzner, der ehemalige Vorsitzende des „Naturistenbundes Kurpfalz/Mannheim“. Der ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten, mit denen sich die organisierte FKK-Bewegung konfrontiert sieht: 2009 hat sich der Verein aufgelöst – auch wegen Mitgliederschwund und zunehmender Überalterung: „Wir hatten noch so etwa 120 Mitglieder, doch schon alle in sehr vorgerücktem Alter“, sagt Metzner – und mit denen sei der Erhalt des gut sechs Hektar großen Vereinsgeländes bei Altrip „nicht mehr möglich“ gewesen. Über die Gründe für den Rückgang – 700 Mitglieder hatte der Verein zu Hochzeiten um 1970 – kann Metzner nur spekulieren: „Früher war man eher bereit, ein langfristiges Ehrenamt zu übernehmen“, sagt der Mutterstadter, „allmählich setzte sich schon eine Bedienmentalität durch.“ Mangelnde Bereitschaft zum Ehrenamt also, Problem vieler Vereine bei der Nachwuchsgewinnung – aber trotzdem stellt sich die Frage, ob das Desinteresse junger Menschen an der Freikörperkultur nicht gerade mit der Allgegenwart des Nackten zu tun hat. Hat jemand, der permanent mit Bildern perfekter Körper konfrontiert wird, vielleicht einfach Hemmungen, seinen eigenen, makelbehafteten Körper zu zeigen? „Könnte sein“, sagt Metzner, der ein ähnliches Phänomen jedenfalls bei älteren Mitgliedern beobachtet hat: „Wir haben in den letzten Jahren verstärkt Menschen bekommen, die alt und runzlig waren – und das Vereinsgelände als Rückzugsort genutzt haben.“ Folgt man Renate und Peter, dann steht der Rückzugsort der Nackten in der „Schweinebucht“ unter zunehmendem Druck der Bekleideten: „Früher war das ein reiner FKK-Bereich“, sagt Renate, die zusammen mit ihrem Gatten seit 40 Jahren auf die Kollerinsel kommt, „inzwischen mischt sich’s mehr“, ergänzt Peter. Für unorganisierte FKK-Jünger ist der Kollerinsel-Strand trotzdem noch eine der ersten Adressen: Etwa zwei Dutzend Nackte an diesem frühen Dienstagnachmittag nach Ferienende, „am Wochenende ist hier schon voll“, sagt Peter. Auch das sicher ein Grund für den Mitgliederschwund der FKK-Vereine: Anders als noch vor einigen Jahrzehnten ist Nacktheit in der Öffentlichkeit, jedenfalls am Badestrand, keine außergewöhnliche Sache mehr – und bedarf oft keiner geschützter Zonen. Theoretisch kann das „wilde FKK“ zwar eine Ordnungswidrigkeit nach Paragraf 118 Ordnungswidrigkeitengesetz darstellen – wird in der Praxis aber wohl eher selten geahndet. Auf eine Anfrage beim rheinland-pfälzischen Landesverband des Deutschen Anwaltvereins hat sich kein Rechtsanwalt gemeldet, der den Fall schon mal hatte. Die Toleranzschwelle liegt heute also wohl höher als noch vor einigen Jahrzehnten – und attraktiv ist das FKK auf geschütztem Vereinsgelände dann wohl vor allem für ältere Menschen und für Familien mit Kindern. „Man fühlt sich auf dem Gelände schon aufgehobener“, sagt jedenfalls Deborah Bogner, Geschäftsstellenleiterin des Karlsruher „Lichtbundes“, sechs Hektar Vereinsgelände, Mitgliederzahlen im Aufwärtstrend – dank intensiver Nachwuchsarbeit und zum Teil sicher auch dank Besucher aus dem Linksrheinischen, die direkt vor ihrer Haustüre keine FKK-Gelände mehr finden. Schutzbereiche hin oder her: Phänomene wie „Spanner“ sind laut Renate und Peter jedenfalls in der „Schweinebucht“ – anders als im nahen Binsfeld – kein Thema. Auch in der Branche hat das Internet sicher viel kaputt gemacht.

Die Schlicht.
Schild an einem FKK-Strand.
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