Rheinpfalz Einsatz im Neuland

91-82469700.jpg

Viele Menschen nutzen jeden Tag die verschiedenen sozialen Medien im Internet. Deshalb bedeutet Bürgernähe heute für die Polizei, auch online präsent zu sein. Den richtigen Umgang mit Plattformen wie Twitter und Facebook müssen Dienststellen aber erst lernen. Und bis zur „virtuellen Streife“ ist es noch ein weiter Weg.

Manchmal darf es auch ein bisschen Spaß sein. Um die Mitteilung über die Festnahme eines per Haftbefehl gesuchten Mannes auf Twitter zu illustrieren, kletterte ein Beamter kurzerhand im Büro für ein Foto in den Schrank. In einem solchen Versteck nämlich war der Gesuchte entdeckt worden. Ohne Bild, das weiß man bei der Pressestelle der Polizei in Ludwigshafen, geht eine Meldung im nie abreißenden Nachrichtenstrom der sozialen Medien unter. Seit knapp zwei Jahren ist das Polizeipräsidium Rheinpfalz im Internet auf Facebook und Twitter aktiv. Verkehrshinweise, Fahndungsaufrufe oder Meldungen aus dem Polizeibericht werden online verbreitet – statt wie früher vermittelt durch Zeitungen, Funk und Fernsehen. „Das ist eine neue Form von bürgernaher Polizeiarbeit“, sagt Michael Baron, Leiter der Pressestelle, und nennt als Vorteile die Möglichkeit des direkten Kontakts und der umfassenderen Darstellung der Polizeiarbeit. Jüngere Altersgruppen erreiche man zudem gerade auf diesem Weg. Dass der Netz-Einsatz die Polizei in vielen Bereichen wirksam unterstützen kann, hat bereits 2012 eine Studie des EU-Projekts „Composite“ gezeigt: Eine vertrauensvolle Verbindung mit dem Bürger könne aufgebaut werden, der Dialog werde verstärkt. Das helfe nicht nur bei der Kommunikation in Ausnahmesituationen wie Attentaten oder großen Unglücken, sondern könne auch gut Gerüchten und Spekulationen vorbeugen, schlussfolgerten die Forscher. „Die Frage ist daher nicht, ob Polizeithemen etwas in sozialen Medien zu suchen haben, sondern wie die Polizeien daran teilhaben und die Vorteile nutzen.“ Festgestellt wurde allerdings ebenfalls, dass gerade Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarn Nachholbedarf hat. Noch sind es auch in Ludwigshafen eher bescheidene Anfänge: Die vier Beamten der Pressestelle betreuen neben ihren bisherigen Aufgaben zusätzlich die neuen Kanäle. In anderen Bundesländern und Großstädten sind zum Teil eigene Teams nur für die sozialen Medien zuständig. Bei der Polizei München beispielsweise allein vier Leute. Sie ernteten viel Lob für ihre Informationspolitik in der Silvesternacht. Als wegen einer Terrorwarnung Bahnhöfe gesperrt waren, wurden die Bürger über Twitter ständig auf dem Laufenden gehalten. Das schaffte Transparenz und förderte das Verständnis für die Sicherheitsmaßnahmen. Zehn Wochen später zeigte das Social-Media-Team auf Facebook wiederum eine Kehrseite des engen Bürgerkontakts auf: Vorwürfe von Nutzern, die Polizei berichte über bestimmte Ereignisse gar nicht, verschweige Sachverhalte und schreibe eh nur das, was sie wolle. Die Antwort der Polizei darauf war deutlich: „Wir sind keine Onlinepresse. Wir sind eine Behörde.“ Damit sei man einer wahren und ordnungsgemäßen Berichterstattung gesetzlich verpflichtet und müsse „dem besonderen Anspruch an korrekte, überprüfbare und rechtsstaatliche Informationsweitergabe“ entsprechen. Schnell mal einen flotten Spruch oder eine Mutmaßung in die Welt schicken, verbietet sich. Ein anderer Vorfall, der Fragen aufwarf, welche rechtlichen Grenzen es für die virtuelle Polizeiarbeit gibt: die „Blockupy“-Aktion im März 2015. Die Frankfurter Polizei begleitete die Proteste im Bankenviertel – mit heftigen Ausschreitungen – umfangreich per Twitter. Anzweifelt wurde später von Rechtswissenschaftler Felix Hanschmann, ob diese Vorgehensweise im Einklang mit dem Neutralitätsgebot stand und nicht die Gefahr zu groß gewesen sei, durch eine Live-Kommentierung in das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit einzugreifen. Geklärt ist diese spezielle Frage nicht. Die Rechtsexperten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestages kommen in einem Gutachten mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Medien immerhin zu dem Ergebnis, dass Polizeibehörden dazu keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage bedürften – eben weil jede Behörde die Öffentlichkeit informieren darf. Hinsichtlich des Inhalts gelte das Gebot der Sachlichkeit und Richtigkeit. Eine Bund-Länder-Projektgruppe hatte schon früher festgehalten: „Hoheitliche Maßnahmen unter Inanspruchnahme sozialer Netzwerke sind aufgrund der bestehenden Gesetze zulässig.“ Weil Polizei im Wesentlichen Länderaufgabe ist, gibt es keinen bundesweit einheitlichen Ansatz zur Arbeit in den sozialen Netzwerken. Nordrhein-Westfalen hat Ende 2014 Behörden per Erlass untersagt, Nutzer zu duzen. Andere Länder sind nicht so restriktiv. In Rheinland-Pfalz veröffentlichen die Präsidien Inhalte selbstverantwortlich und autark. Das Innenministerium mache hier keine Vorgaben, heißt es auf Anfrage aus Mainz. Eine landesweite Arbeitsgruppe unterstütze jedoch im Sinne eines einheitlichen Standards die Verantwortlichen mit Hinweisen. Häufig ist es also ein mal mehr, mal weniger genau geregeltes Erkunden des virtuellen Raumes, bei dem es sich nach einem geflügelten Wort von Bundeskanzlerin Angela Merkel ja um „Neuland“ handelt. Für den Kriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger ist diese derzeitige Situation unbefriedigend. „Wir haben uns als Gesellschaft keine Gedanken gemacht, welche Aufgaben die Polizei im Netz wahrnehmen soll“, sagt er. Die Folge sei eine mangelnde Präsenz der Ordnungshüter im Netz, abgesehen von Ermittlungen regelrechter „Cyber-Cops“ im Verborgenen. Gepflegt werde zwar die Kommunikation mit dem Bürger, vergleichbar der Wache vor Ort; es mangele jedoch an einer Form der „virtuellen Streife“ abseits des abgegrenzten Bereichs institutioneller Onlineauftritte. In England oder den Niederlanden hingegen sei auch der einzelne Beamte stärker im gesamten Netz aktiv und trete mit der Internetgemeinde in Kontakt. Der Wissenschaftler an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg sieht den Grund für die Zurückhaltung in Deutschland vor allem im Legalitätsprinzip – der Verpflichtung, bei jedem Verdacht einer Straftat zu ermitteln. Für die Arbeit im Internet sei dieser Mangel an Ermessensspielraum praxisuntauglich. Schon jeder mutmaßlich beleidigende Nutzerkommentar auf einer Seite kann strafrechtlich relevant sein. „Das Prinzip müsste reformiert werden“, findet Rüdiger und vermisst eine grundlegende Diskussion über Polizeiarbeit im digitalen Raum.

x