Sport Ein feiner Balanceakt

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Lille. Kaum geht es um was, kommt auch die Offensive auf Touren: Angeführt vom überragenden Julian Draxler hat die deutsche Mannschaft bei der Fußball-EM in Frankreich mit dem 3:0 (2:0) über die Slowakei im Achtelfinale von Lille am Sonntag gezeigt, dass sie den Titel mit aller Macht will.

Ob es sein bisher bestes Länderspiel war, das wusste der Mann des Abends gar nicht so genau zu sagen. Draxler war viel wichtiger, „dass ich ein gutes Spiel gemacht und der Mannschaft geholfen habe“. Es ist eine handelsübliche Floskel, die bei Spielen der Nationalmannschaft aber durchaus auch zutrifft. Denn es wird in dem kleinen Kosmos um Joachim Löw fair und respektvoll miteinander umgegangen. Es gilt für alle, sich dem Gesamterfolg unterzuordnen. Und deshalb will Draxler auch gar kein Problem damit gehabt haben, gegen die Nordiren (1:0) im dritten Gruppenspiel auf der Bank gesessen zu haben: „Wir haben eine sehr gut veranlagte Mannschaft. Von daher ist es kein Problem, wenn man das ein oder andere Spiel nicht spielt. Ich habe einfach versucht, im Training zu zeigen, dass ich weiter bereit bin und den Kopf nicht hängen lasse, dass der Bundestrainer auf mich zählen kann.“ Joachim Löw hat auf den Wolfsburger gesetzt. Und hat mit ihm einen spielentscheidenden Mann aus dem Hut gezaubert: Draxler belebte die Offensive, bereitete das 2:0 von Mario Gomez vor und traf selbst zum 3:0. Löw hatte ihn aufgefordert, mutig zu sein und auch 1:1-Situationen zu suchen. Und das war für ihn ein Balanceakt, „weil unser Spiel auch sehr darauf bedacht ist, Ballsicherheit zu haben“. „Wenn man drei, vier Situationen ins 1:1 geht und verliert davon drei Bälle, braucht man auch das Selbstvertrauen und den starken Rücken, um weiterzumachen. Klar, wenn es dann wie bei mir heute in den ersten zwei, drei Situationen klappt, dann fällt vieles leichter. Gegen Polen war das so, dass wir davon viel zu wenig hatten. Da gebe ich dem Bundestrainer Recht“, bekannte Draxler, für den sich das Blatt in der Nationalmannschaft zu wenden scheint. Er ist auf dem besten Weg, sich in der ersten Elf festzuspielen. Das war bei der WM 2014 noch ganz anders. Da hat der jetzt 22-Jährige die meiste Zeit auf der Bank verbracht – nicht unüblich „bei einer großen Fußball-Nation“. Nun hat er von vier Spielen drei gemacht. Und ist dankbar, „dass ich zeigen kann, was ich drauf habe“. Zu einem Anführer entwickelt hat sich Jérôme Boateng. Er spielt ein überragendes Turnier, und am Sonntag gelang dem Verteidiger im 63. Anlauf auch noch sein erstes Länderspieltor. Danach ging es für ihn direkt zur deutschen Bank, um sich bei der medizinischen Abteilung zu bedanken, die seine Wadenprobleme in den Griff bekommen hat. „Ohne sie hätte ich nicht spielen können“, sagte der Weltklasseverteidiger. Gestern wurde er wieder intensiv behandelt ... Lille war ein gutes Pflaster für die deutsche Elf. Sie hat in der nordfranzösischen Metropole im ersten Gruppenspiel einen 2:0-Sieg über die Ukraine gefeiert und bei der Rückkehr ins Stade Pierre Mauroy einen souveränen 3:0-Sieg über die Slowakei gelandet. „Wir haben uns aufgelehnt, ihnen aber keine Probleme bereiten können“, gestand Jan Kozak. Ein Tor hätte seinem Team geholfen, meinte der slowakische Trainer. Doch der Weltmeister hat im Grunde nur eine einzige gute Chance zugelassen – die war ein gefundenes Fressen für Torhüter Manuel Neuer. „Die Deutschen waren in voller Fahrt“, meinte Kozak. Immerhin hat der für die Franzosen große Favorit auf den Titel nach drei Handbremsen-Spielen im ersten K.o.-Spiel auch mit aller Macht auf Sieg gespielt.

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